SCHRÖDER-Interview mit ZEIT Online: „Ich wurde an der U-Bahn-Station als Nazi beschimpft“

Im Interview mit ZEIT Online hat unsere Bundesvorsitzende Ria beschrieben, wie es ihr seit der Wahl von Thomas Kemmerich ergangen ist und welche Konsequenzen sie nun vom Parteivorsitzenden Christian Lindner fordert. Du findest es im Original hier.

Die Fragen stellte Carla Baum.

Frage: Frau Schröder, wie werden Sie bei der Vertrauensfrage abstimmen?

Ria Schröder: Das weiß ich noch nicht. Es hängt für mich von Fragen ab, die wir nur in der Sitzung klären können.

Frage: Welche Fragen werden Sie Christian Lindner stellen?

Ria Schröder: Ich möchte wissen, ob Christian Lindner über Pläne von Thomas Kemmerich Bescheid wusste, eine Wahl als Ministerpräsident mit Stimmen der AfD anzunehmen. Wenn er bei seinen bisherigen Ausführungen bleibt, nämlich, dass er es nicht wusste, gehe ich davon aus, dass ich ihm heute mein Vertrauen aussprechen kann. Aber mich interessiert auch: Welche Fehler sind an welchen Stellen gemacht worden? Das werden wir heute klären.

Frage: Sie sind bereits auf Distanz zu Ihrem Parteichef gegangen. Hat Ihr Verhältnis zu ihm in den vergangenen Tagen gelitten?

Ria Schröder: Es geht mir nicht um Distanz zu Christian Lindner. Ich hege keinen Groll gegen ihn, ganz im Gegenteil. Nach wie vor halte ich ihn für den richtigen Parteivorsitzenden. Aber wenn er Fehler gemacht hat, die zu den Ereignissen in Thüringen beigetragen haben, ist die Frage, welche Konsequenzen die Partei daraus zieht.

Frage: Welche Fehler hat die FDP nach der Wahl Thomas Kemmerichs zum Ministerpräsidenten in Thüringen gemacht?

Ria Schröder: Es gab eine Phase der Orientierungslosigkeit zwischen der Wahl von Thomas Kemmerich und dem Statement von Christian Lindner. Da ist zu viel Zeit verstrichen. Ich will das niemandem persönlich vorwerfen, das war eine absurde Situation, mit der ich selbst nicht gerechnet habe. Aber trotzdem hätte es früher eine Kommunikationslinie des Parteivorstands geben müssen.

Frage: Wurden Sie selbst auch von den Ereignissen in Thüringen überrascht?

Ria Schröder: Ja, total. Ich war gerade im Wahlkampf in Hamburg unterwegs und verteilte Flyer in Briefkästen, als mich die Nachricht erreichte. Natürlich hatte ich auf dem Schirm, dass an diesem Tag im Thüringer Landtag eine Entscheidung anstand, aber mehr auch nicht. Ich habe die Wahl Kemmerichs nicht kommen sehen. Deshalb gab es auch so viele unterschiedliche Reaktionen aus der Partei. Einige haben Kemmerich ja erst euphorisch gratuliert. Aber dann kam der bittere Beigeschmack, den man nicht mehr losgeworden ist.

Frage: Philip Riegel von den Jungen Liberalen in Thüringen hat Kemmerich unterstützt. Wie bewerten Sie das?

Ria Schröder: Ich kenne Philip Riegel gut und schätze ihn sehr. Das war und ist für ihn eine schwierige Situation und ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Meine Meinung ist in diesem Fall aber eine andere als seine: Kemmerich hätte die Wahl niemals annehmen dürfen.

Frage: Riegel sagte am Donnerstag in einem Interview mit bento: „Ich bezeichne mich nicht als Antifaschisten. Ich bin einfach Liberaler.“ Wie stehen Sie zu dieser Abgrenzung?

Ria Schröder: Ich finde, alle, die gegen Faschisten sind, sind auch Antifaschisten. Also selbstverständlich auch wir Liberalen. Aber am Ende ist das Wortklauberei. Im Kern geht es darum: Die FDP ist das genaue Gegenteil der AfD. Wir sind eine liberale, weltoffene Kraft. Alles, wofür ich mich jemals politisch eingesetzt habe, widerspricht dem Programm der AfD. Dass diese Partei uns als möglichen Partner ansieht, beunruhigt mich sehr.

Frage: ZEIT Campus ONLINE: Auch viele FDP-Wähler scheinen die AfD als möglichen Partner in Betracht zu ziehen. Laut einer aktuellen Umfrage sind 62 Prozent der FDP-Anhänger der Meinung, die Parteien sollten situationsbedingt über eine Zusammenarbeit mit der AfD nachdenken.

Ria Schröder: Vielleicht wird die Abgrenzung zur AfD von einigen unserer Wähler nicht als so eindeutig gesehen, wie sie mir erscheint. Wir haben in Fragen der Migration immer versucht zu zeigen, dass es eine andere Position gibt als: Alle dürfen nach Deutschland kommen oder alle müssen draußen bleiben. Viele Menschen, die kritisch gegenüber Merkels Flüchtlingspolitik 2015 waren, sind bei der AfD gelandet. Diese Menschen ins demokratische Spektrum zurückholen zu wollen, finde ich legitim. Vielleicht haben damals einige Wähler die AfD gewählt, nicht weil sie Rassisten sind, sondern weil sie sich ernsthafte Sorgen darum gemacht haben, wie die Einwanderung von den Gemeinden zu stemmen ist. Aber die FDP hat immer betont, dass sie Deutschland als Einwanderungsland sieht. Was wir jetzt als FDP brauchen, ist eine ganz klare Kommunikation und Abgrenzung nach rechts.

Frage: Am 23. Februar ist die Hamburger Bürgerschaftswahl, Sie haben sich als Kandidatin aufstellen lassen. Wie haben sich die Ereignisse in Thüringen auf Ihren Wahlkampf ausgewirkt?

Ria Schröder: Ich spüre die Auswirkungen der Ereignisse in Thüringen gerade sehr deutlich. Politiker anderer Parteien, die mich gut kennen und wissen, wie ich zur AfD stehe, werden jetzt nicht müde zu betonen, man müsse vor Menschen wie mir aufpassen. Das schmerzt. Ich war gestern morgen wieder Flyer verteilen auf der Straße. Klar gibt es da die, die kommen und sagen: Wir wissen, dass ihr eine liberale Kraft seid. Dass du nicht so bist. Bleib tapfer. Aber ich kann Ihnen gar nicht sagen, was in mir vorgeht, wenn ich plötzlich an der U-Bahn-Station als Nazi beschimpft werde.

Frage: Das ist Ihnen passiert?

Ria Schröder: Ja, gestern. Das tut mir unglaublich weh. Die Schrecken der NS-Zeit waren ein Grund für mich, in die Politik zu gehen. Ich habe mich immer für Freiheit eingesetzt. So etwas zu hören, macht mir enorm zu schaffen.

Frage: Was glauben Sie, wie junge Politikerinnen der FDP wie Sie diesen „Stempel“ jetzt wieder loswerden?

Ria Schröder: Wir brauchen jetzt einen Moment des Bewusstmachens unter allen demokratischen Parteien. Wir müssen uns fragen, in welchen Situationen wir die AfD vielleicht einfach haben machen lassen. Wir haben uns zu sehr an diese Partei und die Diskursverschiebung gewöhnt, die sie mit sich gebracht hat. Wir müssen aufmerksamer werden gegenüber den vielfältigen Wegen, die sich die AfD sucht, um demokratische Prozesse zu unterwandern, und uns darauf besser vorbereiten. Wir haben die Ereignisse in Thüringen nicht kommen sehen. Da waren wir nicht wachsam genug.