Schröder in der „Braunschweiger Zeitung“: „Die Wahlniederlage 2013 war für uns das Beste“

Die Bundesvorsitzende der Jungen Liberale (JuLis), Ria Schröder, gab der „Braunschweiger Zeitung“ folgendes Interview. Es befindet sich außerdem hier. Die Fragen stellte Andreas Eberhard.

 

Während des Asylstreits in der Union haben Sie Ihrem Parteichef Christian Lindner mangelnde Distanz zur CSU vorgeworfen. Was genau haben Sie kritisiert?

Es war eine Reaktion auf einen Tweet von ihm, der lautete: Wir stehen der CSU näher als Frau Merkel und den Grünen. Diese Positionierung sehe ich nicht. Die CSU hat mit unserem toleranten, weltoffenen Welt- und Menschenbild wenig zu tun. Markus Söder spricht von „Asyltouristen“ und von einer „Anti-Abschiebe-Industrie“. Das ist eine Sprache, die die Verrohung der politischen Auseinandersetzung vorantreibt. Ich warne davor, dass die FDP sich damit gemein macht. Meine Kritik war ein Warnschuss. Wir müssen an unserem eigenen Kompass festhalten. Mein Eindruck ist: Die Botschaft ist angekommen.

Woran merken Sie, dass ihr Warnschuss gehört wurde?

Vor allem an der Kommunikation von Christian Lindner, der zurückgerudert ist und sich seitdem wesentlich besonnener äußert. Es wird wieder deutlicher, dass die FDP in der Asylfrage mit ihrem Modell für ein Einwanderungsgesetz eine eigene Position vertritt.

Was halten Sie vom Asylkompromiss der Bundesregierung?

Ich frage mich, wie lange das hält. Tatsächlich ging es ja weniger um Sachfragen als um das Ego von Herrn Seehofer und die bayerische Landtagswahl, für die er die ganze Republik in Geiselhaft nimmt. Das ist ja nicht dadurch beendet, dass man sich jetzt in einer Sachfrage geeinigt hat. Ich befürchte, dass es weitergeht, weil Herr Seehofer seine Grenzen immer weiter austestet. Das nimmt so zynische Formen an, dass man fragen muss, wie lange das noch tragbar ist.

Mit „das“ meinen Sie den Innenminister Seehofer?

Absolut. Er hat sich durch mehrere Aktionen völlig disqualifiziert. Allein, dass er seinen CSU-Masterplan vom Innenministerium hat schreiben lassen, ist eine Frechheit gegenüber dem Steuerzahler. Und dann sein zynischer Kommentar über die 69 Abschiebungen an seinem 69. Geburtstag. Natürlich konnte er nicht absehen, dass sich einer der Abgeschobenen das Leben nehmen würde, aber wer so über Menschen spricht, hat in der Politik nichts verloren.

Auf Ihrer Webseite schreiben Sie sich die Digitalisierung auf die Fahnen. Mein Eindruck ist, dass viele Beiträge zu dem Thema relativ inhaltsleer daherkommen. Was meinen Sie, wenn Sie von der „Herausforderung der Digitalisierung“ sprechen?

Die Art und Weise, wie bislang Politik gemacht wird, reicht nicht aus, um mit dieser immensen Umwälzung, die alle Bereiche durchzieht, umzugehen. Alles wird in den Grundfesten erschüttert, und die Politik muss diese Veränderungen gestalten. Ich weiß, dass die Digitalisierung vielen Menschen Sorgen bereitet. Meine Generation, die mit digitaler Technik aufgewachsen ist, hat weniger Angst und kann hier eine besondere Rolle spielen.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Beim Thema Künstliche Intelligenz gibt es ein immenses Potenzial, etwa im Gesundheitsbereich. Aber da hilft es nichts, hier und da ein bisschen herumzudoktern. Man muss bereit sein, sich große Fragen zu stellen: Wie können wir Mensch und Technik zu einem harmonischen Zusammenleben bringen? Und das kann nicht bedeuten, einfach möglichst lange die Tür geschlossen zu halten.

Ist es wirklich Ihr Eindruck, dass die Tür zugehalten wird?

Es ist gar nicht leicht, jemanden zu finden, der nicht sagt: „Es gibt aber auch Risiken.“ Und natürlich gibt es die. Aber das bedeutet, dass wir eine Politik brauchen, die souverän damit umgeht. Wenn ich Leute jammern höre „Die Kinder hängen nur noch am Handy“, dann ist das ein Resignieren gegenüber den Möglichkeiten, die eben auch dahinterstecken. Ich möchte, dass wir einen gesunden Umgang mit der Technik lernen.

Und wie kann das Ihrer Meinung nach geschehen?

In den Schulen muss es ein Umdenken geben – etwa, indem wir den Mint-Bereich, also die naturwissenschaftlichen und technischen Fächer, ausbauen. Es darf nicht länger sein, dass sich nur wenige Nerds mit digitaler Technik auskennen. Wir haben einen flächendeckenden technologischen Analphabetismus in der Gesellschaft, dem wir nicht genug entgegengehen. Das heißt nicht, dass in Zukunft jeder ein Programmierer sein muss. Aber ich muss in der Lage sein, Technikern mitzuteilen, was ich möchte. Ohne diese Fähigkeit kommt die Ethik zwangsläufig zu kurz.

Was hat Sie eigentlich bewogen, zur FDP zu gehen?

Ausschlaggebend war für mich die Frage: Wer schreibt mir eigentlich vor, wie ich leben darf? Wichtige Stichworte waren für mich Alkoholverbote, Zigarettenbesteuerung, Cannabis-Legalisierung. Als Studentin hatte ich den Eindruck, mir will jemand vorschreiben, wie ich zu leben habe, obwohl ich niemandem schade. Ich wollte nicht vom Staat bemuttert werden. Und hierfür stand vor allem die FDP.

Damals, 2013, befand sich die FDP im freien Fall. Warum erschien sie Ihnen attraktiv?

Mir gefielen die Ideen und das Programm. Deswegen sagte ich: Bevor die jetzt aus dem Bundestag fliegen, mache ich Wahlkampf für die. Aber der entscheidende Zeitpunkt war nach der Wahl. Ich sagte mir: Jetzt ist die Zeit, sich personell und thematisch so aufzustellen, wie ich mir das wünsche: wirtschafts- aber auch gesellschaftsliberal. Diesen Wiederaufbau wollte ich mitgestalten.

Hat es der FDP gutgetan, dass sie aus dem Bundestag geflogen ist?

Man darf nicht vergessen, dass das eine furchtbare Zeit für viele Mitglieder war. Aber aus heutiger Sicht war es das Beste, was uns passieren konnte. Ich sehe da übrigens auch Parallelen zur SPD. Die probiert seit Jahren, sich zu erneuern, aber sinkt in den Umfragen immer weiter. Die müssten sich auch mal wieder fragen: Wer sind wir eigentlich, für wen machen wir Politik?

Wünschen Sie der SPD, auch mal aus dem Bundestag zu fliegen?

Nein, aber eine Zeit in der Opposition täte ihr gut. Deswegen waren die Jusos ja auch dafür. Ich sage das ohne Häme: Ich wünsche der SPD eine Erneuerung. Sie nimmt eine wichtige Aufgabe im Parteienspektrum wahr. Und langfristig möchte ich auch wieder die Option haben, mit ihr zu regieren – nicht immer nur mit der CDU.

Statt zu regieren, ist die FDP mit politischem Marketing beschäftigt. Waren die Regierungsverweigerungen im Bund und in Niedersachsen kein Fehler?

Ich würde da differenzieren: In Niedersachsen mag man sich nach der Wahl geärgert haben, dass man vorher so klar eine Regierungsbeteiligung ausgeschlossen hatte. Aber im Bund war es anders: Wir waren offen für Gespräche, und die haben wir geführt. Nicht, dass wir nicht gewollt hätten, aber es fehlte die inhaltliche und personelle Basis.

Was können Jugendorganisationen wie die Julis eigentlich besser als ihre Mutter-Parteien?

Wir beanspruchen für uns, immer noch ein bisschen progressiver zu sein – auch einmal einen Gedanken zu äußern, der vielleicht im Moment utopisch erscheint. Wir erlauben uns, visionär zu sein. Wir sind eine Generation, die in einem geeinten Europa aufgewachsen ist. Wir wollen nach vorne blicken. Zeiten, die sich andere zurückwünschen, etwa die vor dem Euro, kennen wir gar nicht mehr. Das eint uns auch gegenüber älteren Politikern.

Sie sind ja erst 26 Jahre alt. Können Sie sich ein Leben in der Politik vorstellen?

In der Politik kann man gewinnen und verlieren. Deswegen ist es mir wichtig, mein Jurastudium zu Ende zu bringen und unabhängig zu bleiben. So kann ich schauen, wie lange es mir Spaß macht und ich Themen habe, die ich voranbringen will. Sollte das nicht mehr der Fall sein, werde ich als Juristin arbeiten.

Was reizt sie als nächstes? Gibt es ein Amt, das Sie anstreben?

Außenministerin (lacht). Im Ernst: Die Bundespolitik ist das, was mich vor allem interessiert. Deswegen bin ich Bundesvorsitzende der Julis geworden. Darauf will ich mich noch einige Jahre konzentrieren. Darüber hinaus kann ich mir vorstellen, wie bereits 2017, auch zur nächsten Bundestagswahl wieder anzutreten. Aber ich bin ja noch jung, da muss ich mir keinen unnötigen Druck machen.