Schröder-Gastbeitrag: „Der vermeintliche Aufbruch der CDU ist gar keiner“

Nach über 18 Jahren wählen die Delegierten der CDU einen neuen Vorsitz. Die Partei spricht in diesem Zusammenhang gerne von Erneuerung und Modernisierung. Ist das aber wirklich so? Unsere Bundesvorsitzende schrieb für die WirtschaftsWoche im November diesen Gastbeitrag. Im Original findest Du ihn hier.

Mit der Ankündigung ihres Rückzugs gab Angela Merkel den Startschuss für ein Elefantenrennen. Innerhalb weniger Tage brachten sich die politischen Schwergewichte Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn und Friedrich Merz als potenzielle Nachfolger in Position. Alle drei versprechen der CDU Aufbruch und eine interne Erneuerung. Dabei sind sie bisher eher mit Äußerungen aufgefallen, die an längst vergangene Tage erinnern – ein politisches „Zurück in die Zukunft“.

Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer wiederholte in einer Talkshow gerade erst ihre Skepsis gegenüber der Gleichstellung Homosexueller. Mit der Ehe für alle sieht sie Deutschland auf dem Weg nach Sodom und Gomorra. Wenn homosexuelle Paare heiraten dürften, sei eine Diskussion über Polygamie und Inzucht nicht weit. Das hätten auch schon die Jungen Liberalen diskutiert, sagte sie abfällig.

Als Vorsitzende der Jungen Liberalen kann ich dazu nur sagen: Wir diskutieren selbstverständlich über zeitgemäße Konzepte, wie Menschen Verantwortung für einander übernehmen können. Wir wollen eine Verantwortungsgemeinschaft ins Gesetz aufnehmen, die mehr ist als die klassische Ehe: Ein Rechtsrahmen, etwa für Menschen, die im Alter zusammenleben und füreinander sorgen, aber kein Liebespaar sind. Möglicherweise können so auch drei oder mehr Personen füreinander einstehen. Polygamie? Der Vergleich ist fehl am Platz. Diese Diskriminierung verbietet sich insbesondere für eine Frau, die Vorsitzende der CDU und damit möglicherweise eines Tages Kanzlerin aller Menschen in unserer Gesellschaft sein möchte.

Jens Spahn fällt häufig durch Provokation auf. Manche missdeuten das als „jung und dynamisch“, ich halte es für gefährlich. Die Frage der Migration bezeichnete er als „Elefant im Raum“, als Tabu also, das nicht angesprochen wird. Dabei wurde im Deutschen Bundestag im vergangenen Jahr in nahezu jeder Sitzungswoche über Flucht und Migration debattiert. So zu tun, als traue sich niemand über dieses vermeintlich heikle Thema zu sprechen, dient nur seiner Profilierung und – schlimmer noch – den Populisten. Als Gegenmodell machte die FDP pragmatische Vorschläge, etwa für die Schaffung eines Einwanderungsgesetzes oder die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer.

Trotz seiner Homosexualität gilt Spahn nicht als liberal. In der Debatte um das Für und Wider eines Werbeverbots bei Abtreibungen sagte er: „Wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos.“ Dabei verkennt er, dass es nicht nur um den Lebensschutz, sondern auch um das Selbstbestimmungsrecht der Frau geht. Sein Vergleich zeigt, woran es Spahn am meisten fehlt: Empathie. Bei aller Anerkennung dafür, dass er unbequeme Themen adressiert: Ohne Einfühlungsvermögen sollte man es besser lassen. Auf dem politischen Feld stehen genug Stimmen, die polarisieren und spalten.

Die aktive Zeit von Friedrich Merz liegt noch länger zurück als Angela Merkels erste Vereidigung als Kanzlerin. Sieht am Ende so die Erneuerung und der Aufbruch der CDU aus?

Die Euphorie um seine Kandidatur – Teile der Jungen Union sprechen gar vom „Vormerz“ – entspringt dem Zauber des Unbekannten. Da erliegen viele dem Charme eines Gesichts, das man die vergangenen Jahre nicht ständig in Talkshows gesehen hat. Als jemand, der die aktive Politik hinter sich gelassen hatte, genoss Merz den Luxus, sich nicht zu aktuellen Fragen äußern zu müssen. Deswegen ist offen, wie er zu den relevanten Fragen der heutigen Zeit steht. Er ist eine politische Blackbox.

Stattdessen knüpft er mit seinem diffusen Leitkultur-Geschwafel an Debatten von vorgestern an. Es muss Schluss sein mit dem Generalverdacht gegenüber anderen Kulturen, insbesondere gegenüber Muslimen. Stattdessen braucht es einen an Rechtsstaat und Grundgesetz ausgerichteten selbstbewussten Pluralismus. Rezepte von früher helfen nicht bei der Gestaltung der Zukunft.

Die Delegierten beim CDU-Parteitag Anfang Dezember müssen entscheiden, welchem der drei sie den Vorsitz ihrer Partei anvertrauen. Vor der Nachfolgerin oder dem Nachfolger Angela Merkels liegt viel Arbeit und eine wichtige Richtungsentscheidung.

Meines Erachtens kann die Antwort auf die Rechtspopulisten jedenfalls nicht eine AfD-Light sein. Mit diesem Versuch ist die CSU in Bayern bereits krachend gescheitert. Die CDU hat vielmehr die Frage zu beantworten, was man zukünftig in unserer Demokratie von konservativer Politik erwarten kann. Eine weiterhin sozialdemokratisch agierende CDU brauchen wir nicht. Unter Merkel hat die Union ihren marktwirtschaftspolitischen Kompass verloren. Diese Ununterscheidbarkeit der Volksparteien hat die Ränder erst stark gemacht.

Wenn die CDU von sich behaupten möchte, moderner zu werden, muss sie sich in mehr Respekt vor unterschiedlichen Lebensmodellen und kultureller Vielfalt üben. Wenn die CDU nicht spalten, sondern die Gesellschaft einen möchte, dann liegt noch ein langer Weg vor ihr. Die aktuelle Kandidatenlage zeigt das eindrücklich.