KUHLE-Interview mit „Focus Online“

MÜNCHEN. Der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen (JuLis), Konstantin KUHLE, gab „Focus Online“ anlässlich des FDP-Dreikönigstreffens in Stuttgart das folgende Interview. Die Fragen stellte Melchior Poppe:

 

Neuer Aufbruch hieß es bereits vor einem Jahr, als die Wunden der Bundestagswahl noch deutlich zu spüren waren. Welchen Sinn hat das Dreikönigstreffen 2015?
KUHLE: Man sollte sich nichts vormachen: Die Leute sind nicht blöd. Man kann sich nicht vom Volk aus dem Bundestag wählen lassen und dann erwarten, dass das Ganze innerhalb von ein paar Wochen oder Monaten wieder erledigt ist. Die FDP hat im letzten Jahr intern bei über 200 Veranstaltungen ganz intensiv darüber diskutiert, wie sie sich selbst sieht, was sie für ein politisches Programm vertreten möchte und was sie für Fehler in der Vergangenheit gemacht hat. Das war ein sehr reinigender Prozess, wie ich finde. Jetzt geht es darum, diese Veränderung, die man inhaltlich und intern vorgenommen hat, nach außen hin zu zeigen. Dafür ist Dreikönig 2015 der Auftakt.

Können Sie diese Veränderung bereits in den eigenen Reihen spüren? Oder bleibt es bislang bei der Theorie?
KUHLE: Es ist schwierig, bei einer Partei, die so lange im Bundestag vertreten gewesen ist, und die ja auch so lange Regierungsverantwortung getragen hat, eine gewisse Behäbigkeit und auch eine gewisse Trägheit herauszukriegen. Wenn man sich allerdings mit Funktionsträgern, mit Politikern aus der FDP unterhält, dann merkt man, dass viele sich fragen: Wie können wir als Liberale dahin kommen, dass wir den Menschen nicht erklären, wo ihre Probleme sind, sondern dass wir zuhören und besser selber erkennen, wo die Menschen ihre Probleme haben. Das hat sich im letzten Jahr geändert. Auch die Rhetorik und die Art und Weise, wie wir an die Dinge herangehen, sind besser geworden, es herrscht wieder Optimismus. Die Arbeitseinstellung hat sich gewandelt, und das merkt man langsam.

Philipp Rösler sagte gerade erst, dass es nach ihm „nicht besser geworden“ sei. Wie passt das zu Ihrer Einschätzung?
KUHLE: Ich halte nichts davon, Personen gegeneinander auszuspielen. Das haben wir in der Vergangenheit oft genug gemacht. Ich persönlich bewundere Philipp Rösler, und ich kenne viele, die sich durch ihn von der liberalen Sache haben überzeugen lassen. Gleiches gilt für Christian Lindner. Wenn ich mich mit Leuten um die 20 darüber unterhalte, warum sie Politik machen wollen, dann geht es eigentlich immer darum, dass sie auf persönliche Querelen keine Lust haben.

Sind sie denn zufrieden mit der Arbeit von Christian Lindner im letzten Jahr?
KUHLE: Ja. Wir haben eine große Koalition in Deutschland, die vor allen Dingen sozialdemokratische Politik macht. Dass da irgendwie auch die CDU regiert, kann man gar nicht sehen. Dass die CSU regiert, sieht man womöglich noch an der Diskussion über die Maut. Ich kann aber nicht erkennen, dass diese Regierung die Prinzipien der Marktwirtschaft hochhält. Christian Lindner macht da einen sehr guten Job, indem er das immer wieder herausstellt und verdeutlicht: Es gibt eine Alternative für Menschen, die sich eine andere Richtung erhoffen. Und er vermag es, Leuten den Weg in die FDP zu zeigen, die Liberalismus nicht nur auf Wirtschaftspolitik reduzieren, sondern denen es auch um Bürgerrechte oder Selbstbestimmung im Alter geht. Dieser Spagat zwischen einer Wirtschaftspolitik als klarer Alternative zur großen Koalition einerseits und auf der anderen Seite einer thematischen Verbreiterung gelingt Lindner momentan ganz gut.

Gibt es andere Personen, die sich bei der Trümmerarbeit mit guten Ideen und besonderem Einsatz auszeichnen?
KUHLE: Mir fällt vor allem Katja Suding auf, die Vorsitzende der FDP-Fraktion in Hamburg. Hamburg ist ein Bundesland, das vor verschiedenen Problemen steht, die sich besonders in Großstädten zeigen. Dabei denke ich zum Beispiel an die Unterbringung von Flüchtlingen oder an die Organisierung von Bildung in einer solchen Stadt. Und die FDP Hamburg macht hier sehr gute Vorschläge, zum Beispiel zur dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen oder zum Frieden im Schulsystem, damit nicht ständig daran herumgedoktert wird. Besonders Katja Suding macht einen extrem guten Job. Darüber hinaus spielen natürlich auch Personen wie Wolfgang Kubicki und Nicola Beer eine wichtige Rolle.

Kann die FDP auch auf Hilfe von außen hoffen – oder wurde die Partei von ihren Unterstützern mittlerweile fallen gelassen?
KUHLE: Ich erlebe immer wieder, dass Menschen eine große Bereitschaft mitbringen, sich von der FDP überraschen zu lassen. Wir haben in der Vergangenheit sehr an Ritualen geklebt, die auch von anderen Parteien immer so aufgeführt wurden. Da haben sich zwei Politiker im Bundestag gegenseitig beleidigt, und am Ende hat man sich nicht mehr über die Sache unterhalten, sondern über persönliche Befindlichkeiten. Die FDP hat die große Chance, diese außerparlamentarische Zeit zu nutzen und das Gespräch mit gesellschaftlichen Gruppen zu intensivieren. Also zum Beispiel bei der Frage Sterbehilfe den Diskurs mit den Kirchen und Hospizvereinen zu führen. Vor einem Jahr war da vielleicht ein bisschen Häme dabei, aber wenn man heute mit Leuten darüber spricht, was liberale Ideen für die Zukunft sein könnten, dann erfährt man vor allen Dingen Neugierde auf das, was uns momentan umtreibt. Das ist ein ermutigendes Gefühl.

Wie verhält sich die traditionelle Klientel Ihrer Partei? Müssen Sie die AfD oder Pegida fürchten?
KUHLE: Es gibt sicher Leute, die dafür empfänglich sind, aber die sind weniger unter Liberalen zu suchen. Ich empfinde Pegida und AfD als Antithese zum Liberalismus. Man wird zwar sehr oft danach gefragt. Wenn man allerdings mit Menschen diskutiert, die in Deutschland wirtschaftliche Verantwortung tragen, die man vielleicht als Leistungsträger qualifizieren würde, und diese Leute vor die Entscheidung stellt: Seid Ihr für einen Verbleib Deutschlands in der Euro-Zone und für eine gemeinsame europäische Währung, die der deutschen Exportwirtschaft gut tut, und seid Ihr für Freihandel mit den USA? Dann sagen sie ‚Ja‘ und ‚Wir sind dafür, dass eine Partei im deutschen Parteienspektrum auch dafür einsteht‘. Im deutschen Parteienspektrum steht aber die AfD gerade gegen diese beiden Punkte.Außerdem sind sich Herr Henkel und Herr Lucke oft selber nicht so ganz einig, was sie nun eigentlich mit dem Euro vorhaben. Genauso verhält es sich beim Verhältnis zu den USA, bei der transatlantischen Orientierung Deutschlands und dem Freihandel: Da erlebe ich eine Art Russland-Romantik bei der AfD. Ich glaube, dass sich davon viele Menschen mit wirtschaftlicher Verantwortung eher verunsichert fühlen. Sie wollen dann eher mit uns darüber diskutieren, wie man Respekt vor Leistung zu einem Wert in der deutschen Politik machen und wie man etwas für Wachstum tun kann.

Wie sieht es mit jungen Leuten und künftigen Leistungsträgern aus?
KUHLE: Mir ist es wichtig, dass die FDP ihren Begriff von Leistungsträgern anders definiert, als in der Vergangenheit. Leistungsträger in der Gesellschaft ist nicht nur derHandwerker, der in der dritten oder vierten Generation den Betrieb übernimmt, oder jemand, der ein großes Unternehmen hat und da mitarbeitet, sondern Leistungsträger kann auch ein Start-Up-Unternehmer sein, oder ein Angestellter, der richtig ackert für sein Geld, und dem am Ende des Monats nicht so viel übrig bleibt. Belastungen wie der Solidaritätszuschlag werden ja nun entgegen aller Beteuerungen doch nicht abgeschafft. Immer wenn Liberale sich öffnen, erlebe ich viel Zuspruch bei Leuten, die es noch nicht geschafft haben, die es vielleicht noch schaffen wollen, die eine gute Idee haben. Außerdem sind bei den Jungen Liberalen seit der Bundestagswahl über 1000 Menschen neu Mitglied geworden. Das hat mich sehr motiviert.