KUHLE-Gastbeitrag zu PEGIDA für „Huffington Post“

Anlässlich der anhaltenden Diskussion um PEGIDA-Demonstrationen in Dresden und anderen deutschen Großstädten schrieb der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen (JuLis), Konstantin KUHLE, heute den folgenden Gastbeitrag für „Huffington Post“ (http://www.huffingtonpost.de/konstantin-kuhle/pegida-kampf-mitte-der-gesellschaft_b_6386470.html):

 

Pegida zwingt zum Kampf um die Mitte der Gesellschaft

Montags gehen in Dresden und anderswo Bürger auf die Straße, um gegen die angebliche „Islamisierung des Abendlandes“ zu demonstrieren. Die Reaktionen in Presse und Politik verlaufen entlang eines ritualisierten Schemas. Im ersten Schritt werden die Demonstranten wahlweise als „Spinner“ und „Nazis“ bezeichnet oder es wird Verständnis für ihre Sorgen und Ängste eingefordert. Anhänger der ersten Strategie sind beispielsweise Bundesjustizminister Heiko Maas und Grünen-Chef Cem Özdemir. Zu den Vertretern von Strategie Nummer zwei zählen Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und AfD-Chef Bernd Lucke.

Hat man sich zwischen dem Ruf „Nazi“ und dem Ruf „Verständnis“ entschieden, so folgt im zweiten Schritt die entsprechende Gegenreaktion. Die Gruppe der „Nazi“-Rufer wirft der zweiten Gruppe vor, den Boden für Ausländerfeindlichkeit und Rassismus zu bereiten und die Gruppe der „Verständnis“-Rufer wirft der ersten Gruppe vor, sie würde die Sorgen und Nöte der Menschen nicht ernst nehmen. Über die tatsächlichen Ursachen von Pegida oder über die politischen Folgen wird dann nicht mehr diskutiert. Längst geht es um die eigene Deutungshoheit über das, was auf der Straße passiert.

Es ist richtig, angesichts der Sorgen vieler Menschen die Fakten gerade zu rücken: Anfang der Neunzigerjahre flohen pro Jahr fast eine halbe Million Menschen nach Deutschland. Von solchen Zahlen sind wir im Jahr 2014 weit entfernt. Zudem wird nur ein Teil der Geflohenen überhaupt als Flüchtling anerkannt. Unabhängig davon, dass die Religion eines Menschen moralisch und rechtlich für seine Hilfsbedürftigkeit keinen Unterschied macht, handelt es sich bei einem großen Teil der aktuell nach Deutschland fliehenden Menschen gar nicht um Muslime, sondern etwa um Christen oder Jesiden.Ihnen muten wir lange Asylverfahren zu und erschweren es ihnen gleichzeitig zu arbeiten. Viele Flüchtlinge, die nicht das Glück haben noch im schulpflichtigen Alter zu sein, sind deshalb faktisch dazu gezwungen, ihre eintönigen Tage ohne Abwechslung in den ihnen zugewiesenen Unterkünften zu verbringen. Von einem komfortablen und selbstbestimmten Leben in Wohlstand sind sie weit entfernt.

Diese Fakten legen einen Verdacht nahe: In Wahrheit geht es den Pegida-Demonstranten nur unterschwellig um eine vermeintliche Islamisierung des Abendlandes. Tatsächlich mischen sich Angst, Vorurteile und manchmal auch Rassismus mit einem Potpourri diffuser Gefühle aus Systemkritik und Abgehängtsein.Wie man darauf bildungs- oder sozialpolitisch reagiert, mögen Anhänger unterschiedlicher politischer Richtungen auf ihre Weise beantworten. Eines dürfen sie jedoch nicht vergessen: Eine Mehrheit der Menschen demonstriert momentan weder bei Pegida noch bei den Gegendemonstrationen.

Zu dieser Gruppe aus der Mitte der Gesellschaft gehören auch Menschen und deren Nachfahren, die nach Deutschland eingewandert und muslimischen Glaubens sind. Wie fühlen sich eigentlich die Enkel von türkischen Gastarbeitern mit deutschem Pass, die als Erste in ihrer Familie studieren, wenn Politiker Verständnis für Pegida einfordern? Was hat ein kurdischer, arabischer oder persischer Kleinunternehmer muslimischen Glaubens, der für seine Familie und seine Mitarbeiter sorgen will, mit den Zerrbildern zu tun, die Pegida und so mancher Politiker in der Öffentlichkeit zeichnen? Was sagen wir einem Arzt mit irakischen Wurzeln, der bei uns seit Jahrzehnten Kranke heilt und sich nun ausgeschlossen fühlt? All diese Fragen zeigen doch eines: Pegida zwingt die deutsche Gesellschaft zum Kampf um ihre durch Zuwanderung geprägte Mitte. Wer Integration fördern will, der braucht starke Persönlichkeiten als Vorbilder. Würden wir uns die Forderungen der Demonstranten zu eigen machen, würden wird unzählige Integrationsbotschafter verlieren, die wir so dringend brauchen. Vorschläge wie eine Deutschpflicht zu Hause oder das Singen muslimischer Lieder im Weihnachtsgottesdienst sind verantwortungslose Folklore, die nur dazu dient, die ohnehin schon angespannte Stimmung weiter anzuheizen.

Um die durch Zuwanderung geprägte Mitte der Gesellschaft zu stärken, statt sie zu schwächen, bedarf es konkreter Maßnahmen: Eine zügige und weitreichende Doppelpass-Regelung für die Türkei. Die Stärkung von Sprachkompetenzen – in der deutschen Sprache, aber ebenso in der Muttersprache der Eltern- und Großelterngeneration. Denn wer eine Sprache richtig kann, dem fällt es leichter, Deutsch zu lernen. Außerdem muss sich der öffentliche Dienst stärker um Migranten als Bewerber bemühen. Ob Lehrer, Richter oder Staatsanwälte – sie alle können Vorbilder und Anker der Integration sein.

Sinnvoll könnte es beispielsweise sein, über anonymisierte Bewerbungsverfahren nachzudenken, die unterschwellige Vorurteile und Ressentiments abmildern. Außerdem sollten wir es nicht weiter hinnehmen, dass unser Bildungssystem Menschen mit Migrationshintergrund seit Jahrzehnten kontinuierlich abhängt.  Wir sollten endlich dafür sorgen, dass für persönlichen Lebenserfolg nicht länger familiäre oder soziale Herkunft, sondern individuelle Leistung ausschlaggebend sind. Und wir sollten uns, wo immer nötig, kraftvoll dafür einsetzen, allen Kindern in unserem Land die bestmöglichen Lebenschancen zu ermöglichen – auch dann, wenn wir die jeweiligen Eltern erst davon überzeugen müssen.

Aus Angst vor Pegida nun die politische Populismus-Keule zu schwingen ist brandgefährlich. Statt auf Ressentiments aufzuspringen, ist von unseren Politikern nun Führungsstärke gefragt. Sich der vermeintlich vorherrschenden und lautstarken Stimmung anzupassen ist einfach. Sich ihr mit Argumenten und positiven Beispielen entgegen zu stellen und den entsprechenden Gegenwind einzustecken, das beweist politische Gradlinigkeit. Die Parteien werden sich daran messen lassen müssen, wie sie tatsächlich mit Pegida umgehen. Wer sich den Stimmungsmachern hingibt, der verrät die Mitte unserer Gesellschaft.