KUHLE-Gastbeitrag zu Griechenland für „Huffington Post“

Zu den aktuellen und längerfristigen Herausforderungen für die Europäische Union schrieb der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen (JuLis), Konstantin KUHLE, heute den folgenden Gastbeitrag für die „Huffington Post“:

 

Europa und der große Knall

„Der Grieche hat jetzt lange genug genervt“, sagte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Thomas Strobl vor einigen Tagen anlässlich aktueller Verhandlungsergebnisse der europäischen Staats- und Regierungschefs zur griechischen Schuldenkrise. Hinter diesem verbalen Ausrutscher steckt die Sehnsucht nach einer Art von Ereignissen, die es auf dem europäischen Kontinent glücklicherweise seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gibt: Es ist die Sehnsucht nach dem großen Knall. Man dürfe sich von den Griechen nicht alles gefallen lassen, ist in diesen Tagen in Deutschland zu hören. Ebenso könne man sich von den Deutschen nicht alles gefallen lassen, steht – verbunden mit persönlichen Angriffen und Beleidigungen – auf den Bannern der Demonstranten in Griechenland.

Geld soll nur mit entsprechenden Reformen fließen

Es gibt verschiedene Vorstellungen über die „richtigen“ Reformen in Griechenland. Ganz gleich, welche Positionen man hier vertritt – wenn Geld fließen soll, dann müssen Reformauflagen in Verhandlungen zwischen den Mitgliedsstaaten und den Institutionen der Europäischen Union durchgesetzt werden.  Diese Verhandlungen mögen ermüdend sein, sie mögen einzelnen Politikern, Medienvertretern und Wirtschaftsprofessoren auf die Nerven gehen. Aber die Tatsache, dass in der EU niemand mehr den Federhandschuh werfen und zu den Waffen rufen kann, ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Es ist Unsinn, wenn sich ausgerechnet diejenigen über langwierige Verhandlungen beschweren, die die nationale Souveränität gegen eine vermeintlich übermächtige EU verteidigen wollen. Nachtsitzungen mit übermüdeten Repräsentanten der Mitgliedsstaaten, die sich nach dem Prinzip der Einstimmigkeit einigen müssen, sind der beste Gradmesser für ein hohes Maß an nationaler Souveränität – sonst könnten Jean-Claude Juncker und Donald Tusk ja auch einfach ohne die Beteiligung von Merkel, Hollande und Kollegen entscheiden.

Souveränität muss europäisch gedacht werden

Souveränität ist nicht das Problem – das Problem ist, dass Souveränität nicht europäisch gedacht wird. Die kürzlich erfolgte Einladung an den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras in das Europäische Parlament nach Straßburg hat gezeigt, dass auch die Europäische Union selbst den Bürgern besser Rechenschaft ablegen kann. Europa sah hier einen griechischen Regierungschef, der sich nicht nur vor dem eigenen Volk und dem eigenen Parlament, sondern vor den Völkern Europas und ihren Vertretern für seine Politik erklären musste. Die gegenwärtige Krise darf kein Anlass sein, die Weiterentwicklung der EU zu stoppen. Sie muss vielmehr der Wendepunkt sein, der zu einer besseren Konstruktion Europas führt. Mitglieder der Kommission und der Eurogruppe sollten nicht nur im Europäischen Parlament, sondern auch in den nationalen Parlamenten Rede und Antwort stehen müssen. Die Staatsschuldenkrise hat bewiesen, wie sehr der Erfolg des Gesamtprojektes Europa von dem Handeln einzelner Mitgliedsstaaten abhängt. Eine Debatte zwischen dem Regierungschef eines Mitgliedsstaates und den gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments sollte keine Ausnahme bleiben.

Missverständnisse ausräumen

Eine europäische Debattenkultur trägt auch dazu bei, Missverständnisse auszuräumen. Als sich der liberale Fraktionsvorsitzende Guy Verhofstadt kürzlich im Europäischen Parlament an Alexis Tsipras wandte, waren seine Worte nicht nur, wie sonst üblich, innerhalb des Parlaments zu hören. Die Debatte wurde live ins griechische Fernsehen übertragen. So konnten Tsipras und seine Gefolgsleute die Kritik nicht als Spardiktat oder gar Terrorismus verunglimpfen, sondern mussten hinnehmen, dass Verhofstadt die Syriza-Regierung an ihren eigenen Versprechen maß. Schließlich hatte auch Tsipras das Ende von Korruption und mangelnder Steuereintreibung versprochen – ohne in den vergangenen Monaten etwas dagegen getan zu haben. Die Krise trägt so zur Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit bei.

Europa braucht wirksame Regeln

Neben echten europäischen Debatten braucht es wirksame europäische Regeln. Fehler einzelner Mitgliedsstaaten dürfen nicht die gesamte Eurozone in einen dauerhaften Ausnahmezustand versetzen. Korruption, Klientelismus und ausufernde Staatsverschuldung sind nicht allein Probleme einer Nation. Der europäische Fiskalpakt muss endlich vollständig umgesetzt werden. Wann, wenn nicht in den Phasen eines historischen Umbruchs, sollten Stabilitätsregeln Verfassungsrang auf europäischer Ebene bekommen? Ein neuer europäischer Grundlagenvertrag, der von den Menschen in Volksabstimmungen angenommen wird, könnte die Akzeptanz für die Werte und Institutionen Europas neu beleben. Ein solcher Anlauf könnte auch die Bedenken aus Großbritannien aufnehmen und bestimmte Zuständigkeiten in Brüssel und Straßburg begrenzen. Mit weiterer Flickschusterei an bestehenden Verträgen wird dies kaum möglich sein.

Ein großer Teil der Menschen profitiert heute von der Europäischen Union. Dies auszusprechen, mag in Zeiten einer von Griechenland genervten Öffentlichkeit nicht einfacher geworden sein. Es ist die historische Führungsaufgabe der jetzigen Generation von Staats- und Regierungschefs, der Versuchung des nationalstaatlichen Populismus‘ zu widerstehen und das Haus Europa weiter zu bauen.