Gastbeitrag von Ria in der „Rhein-Zeitung“: „Ist die Grundrente fair?“

Deutschland diskutiert über Hubertus Heils Pläne einer Grundrente. Unsere Bundesvorsitzende Ria Schröder schrieb folgenden Gastbeitrag für die „Rhein-Zeitung“ im Rahmen einer Themenseite.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil möchte eine Respektrente einführen. Was sein Vorschlag aber mit Respekt vor dem Generationenvertrag und vor der jungen Generation zu tun hat, kann ich nicht erkennen. Heil betreibt Etikettenschwindel.

Heil betreibt Etikettenschwindel.

Bei der gesetzlichen Rentenversicherung handelt es sich, der Name verrät es, um eine Versicherung, in die man Beiträge einzahlt und im Alter eine entsprechende Rente ausbezahlt bekommt. Es handelt sich dabei also nicht um eine Belohnung oder eine Anerkennung der Lebensleistung, sondern um einen Anspruch, den man sich zu Erwerbszeiten erarbeitet. Dennoch: Manche Menschen verdienen schon während dieser Zeit zu wenig. Schicksalsschläge können Löcher in die Erwerbsbiografie reißen. Die Gründe für einen zu geringen Anspruch im Alter sind vielfältig. Wer eine zu geringe Rente hat, kann zwar Grundsicherung beantragen, doch der Gang zum Sozialamt wird von vielen als entwürdigend empfunden. Es muss Anspruch und gemeinsame Anstrengung unserer Gesellschaft sein, dass alte Menschen in Würde leben können und nicht genötigt sind, am Bahnhof in den Mülleimern nach Pfandflaschen zu suchen. Deshalb braucht es wirkungsvolle Lösungen zur Bekämpfung von Altersarmut.

Wo bleibt da der Respekt?

Heils Vorschlag aber verteilt das Geld mit der Gießkanne, statt Bedürftigen zu helfen. Die Fallbeilgrenze von 35 Jahren führt zu neuen Ungerechtigkeiten. Denn wenn die Bäckerin, die 34 Jahre in Vollzeit gearbeitet hat, am Ende keinen Zuschlag von 447 Euro erhält, sondern den Zuschlag für jemanden mitfinanziert, der nur ein Jahr länger gearbeitet hat, womöglich in Teilzeit – wo bleibt da der Respekt? Heil will weg von der Bedürftigkeitsprüfung, das sei „respektlos”. Denn wenn die Zahnarztgattin oder der reiche Erbe nun mal 35 Jahre lang gejobbt hat, dann verdient das mehr Respekt als jemand, der sich immer allein durchschlagen musste? Das System ist nicht durchdacht und schon gar nicht gerecht. Möglicherweise hat jemand zusätzlich Ansprüche aus der Betriebsrente oder hat privat vorgesorgt.

Dass unser Rentensystem auf drei Säulen steht, wird in der Debatte oft vergessen. Außerdem muss das Haushaltseinkommen berücksichtigt werden. Wenn ein Partner hohe Renten- oder Pensionsansprüche erworben hat und beide Partner profitieren, ist eine isolierte Betrachtung wenig aussagekräftig. Nicht alle, die eine geringe Rente erhalten, sind bedürftig. Die Prüfung der Bedürftigkeit ist deswegen unerlässlich. Alles andere ist gegenüber den Menschen unfair, die auf die Hilfe wirklich angewiesen sind.

Nicht alle, die eine geringe Rente erhalten, sind bedürftig.

Die paar Euro mehr im Jahr zahle man gern, sagen viele Jüngere. Und es fällt schwer zu widersprechen: Ich wünsche jedem eine angemessene Rente. Aber ich mache mir auch Gedanken über unsere Zukunft.

Die gute Nachricht lautet: Die Lebenserwartung ist in Deutschland in den letzten 50 Jahren um etwa zehn Jahre gestiegen. Der medizinische Fortschritt, der ansteigende Wohlstand und die Erleichterung vieler körperlicher Anstrengungen durch mechanische oder technische Hilfsmittel führen dazu, dass Menschen gesünder und länger leben. „70 ist das neue 60“, sind sich Gerontologen einig.

Die schlechte Nachricht: Bald wird das Rentensystem nicht mehr finanzierbar sein. Durch den früheren Renteneinstieg, insbesondere durch die Rente mit 63, beziehen Versicherte heute länger Rente. 2016 lag die durchschnittliche Bezugsdauer bei 19,6 Jahren.

Hinzu kommen die gesunkene Geburtenrate und die Zusatzbelastung, die durch den Renteneintritt der „Babyboomer“ ausgelöst wird. Die Folge ist, dass eine immer kleinere Gruppe Erwerbstätiger eine immer größere Zahl von Rentnern finanzieren muss. Auf 100 Beitragszahler kamen letztes Jahr 51 Rentner. Laut Prognose steigt diese Zahl bis 2031 auf 68 an. Entweder muss das Rentenniveau sinken oder die Beiträge müssen steigen. Doch beides verhindert die „doppelte Haltelinie“. Also gibt es noch drei Stellschrauben, an denen wir den Druck auf das System verringern können: qualifizierte Migration, um die Zahl der Beitragszahler zu erhöhen. Ein Steuerzuschuss, der ins Unermessliche steigt und damit die zukünftigen Erwerbstätigen – also unsere junge Generation – noch mehr belastet. Und das Renteneintrittsalter, über das wir endlich ernsthaft, pragmatisch und mit Respekt für die vielen, insbesondere körperlich hart arbeitenden Menschen in Deutschland sprechen müssen.

Es fehlt an allen Ecken an Investitionen in die Zukunft: etwa bei Kindergärten, Schulen, Berufsschulen und Universitäten!

Die Politik muss Wege für das Rentensystem finden, um gegen Altersarmut vorzugehen und den Anforderungen einer älteren, aber auch aktiveren Gesellschaft zu begegnen. Denn es geht auch um die Frage der Generationengerechtigkeit und den Respekt vor der jungen Generation. Es ist eine Pflicht der Bundesregierung, die zur Verfügung stehenden Mittel verantwortungsbewusst einzusetzen. Es fehlt an allen Ecken an Investitionen in die Zukunft: etwa bei Kindergärten, Schulen, Berufsschulen und Universitäten! Heils Vorschlag neue Haushaltslöcher in Milliardenhöhe zu bohren, die von der jüngeren Generation gestopft werden müssen, hat mit Generationengerechtigkeit nichts mehr zu tun. Wir brauchen ein langfristiges System, das nachhaltig ist und allen Generationen ein würdevolles Altern sichert.