10.06.2017

Zwölfpunkteplan zur Bekämpfung von Fluchtursachen

Im Jahr 2015 waren mehr als 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Sie fliehen vor Krieg, Gewalt und Unterdrückung, aber auch vor Armut und absoluter Perspektivlosigkeit. In der Hoffnung auf Sicherheit und die Chance auf ein besseres Leben richtet sich der Blick und Weg vieler Flüchtlinge nach Europa, Nordamerika und Ozeanien. Die Debatte in Deutschland und der Europäischen Union (EU) konzentriert sich derweil auf die innenpolitischen Folgen von Flucht und Vertreibung sowie entsprechende Maßnahmenvorschläge. Dabei sind Menschenwürdige Lebensbedingungen und Zukunftsperspektiven Voraussetzung dafür, dass Kriege unwahrscheinlicher werden und wirtschaftliche Beweggründe für Flucht seltener werden. Jeder Mensch, der in seiner Heimat bleiben und dort ein selbstbestimmtes, freies Leben führen kann, begibt sich nicht in die Gefahren der Flucht und senkt gleichzeitig die Belastung für Staat und Gesellschaft in den Zielländern.

Deshalb fordern die Jungen Liberalen die Umsetzung der folgenden zwölf Punkte im Kampf gegen Fluchtursachen:

  1. Die stärkere Orientierung der Entwicklungszusammenarbeit an Effektivitätskriterien. Jede aus öffentlichen Mitteln geförderte Maßnahme muss sich an dem Ziel orientieren, Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dafür sind eine stetige Evaluation sowie die Entwicklung neuer Instrumente notwendig. Nur in diesem Rahmen kann die notwendige Anhebung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der Umsetzung des 0,7% Ziels der Vereinten Nationen auch tatsächlich Menschen helfen. Um Synergieeffekte zu nutzen ist mittelfristig außerdem die Bündelung und vollständige Kompetenzverschiebung der Entwicklungszusammenarbeit auf EU-Ebene notwendig.
  2. Eine Neuorientierung der Vergabepraktiken in den Zielländern, der Konditionalität bei Finanzierungsprogrammen und der Projektauswahl strikt an den tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort. Dazu gehört auch die Orientierung an der Einhaltung von Menschenrechten, den Prinzipien der Korruptionsverhütung und Good Governance. In der Entwicklungszusammenarbeit sind grundsätzlich zivilgesellschaftliche Akteure wie Nichtregierungsorganisationen, idealerweise aus dem Empfängerland zu bevorzugen. Die genaue Verteilung muss in Partnerländern entsprechend der lokalen Erfordernisse und Entwicklungsperspektiven entschieden werden. Dabei sind auch Belastungen durch die Aufnahme, Rückübernahme und Integration von Flüchtlingen zu berücksichtigen. Den Gebrauch der Entwicklungszusammenarbeit als Belohnungssystem für sachfremde diplomatische Deals lehnen wir ab. Direkte Budgethilfen für Staaten müssen auslaufen.
  3. Den stärkeren Einsatz für globalen Freihandel. Nach dem Scheitern der Doha-Entwicklungsrunde muss die Europäische Union eine neue Handelsrunde im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) vorantreiben. Damit mehr Menschen von Freihandel profitieren können, müssen mehr Optionen für die einseitige Marktöffnung gegenüber Entwicklungsländern geschaffen werden. Freihandelsverträge können und sollen dabei keine multilateralen Regelungen im Rahmen der Welthandelsorganisation ersetzen, bilden richtig ausgestaltet aber einen möglichen Zwischenschritt auf dem Weg dorthin. Die nichttarifären Handelshemmnisse sollen seitens der EU gegenüber Entwicklungsländern weitestgehend aufgehoben werden.
  4. Ein Ende der EU-Agrarsubventionen (Exportsubventionen, Direktzahlungen, „unsichtbare Subventionen“ der Zweiten Säule) bis 2020. Durch die Agrarsubventionen können Landwirte und Agrarunternehmer Produkte in Entwicklungsländern unter Weltmarktniveau vermarkten. Dies zerstört die dort heimische Agrarindustrie und verhindert den Übergang von der Subsistenzwirtschaft zu verkaufsorientierten Geschäftsmodellen. Die ländliche Bevölkerung wird dadurch förmlich zu Aufbruch und Flucht gezwungen. Darüber hinaus muss die EU sich dafür einsetzen, dass auch Direktzahlungen in der Welthandelsorganisation (WTO) als handelsverzerrend klassifiziert werden.
  5. Die Erarbeitung unkonventioneller wirtschaftlicher Entwicklungsmodelle in und mit den Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit. Der klassische Entwicklungspfad aus Agrar- über Industrie- zu Dienstleistungsgesellschaft ist im Internetzeitalter längst nicht mehr ohne Alternative. Der Versorgung der Menschen in Entwicklungsländern mit Mobiltelefon- und Internetverbindungen kommt dabei große Bedeutung zu.
  6. Deutschland und die EU haben sich den Sustainable Development Goals (SDGs) und dem Klimaabkommen von Paris verpflichtet. Diese Verpflichtungen müssen schnell und ohne Abstriche erfüllt werden, um die negativen Einflüsse von Armut, Unterentwicklung und Klimawandel zu minimieren.
  7. Besondere Anstrengungen zum besseren Schutz von Frauen und Kindern. Sie werden besonders häufig Opfer von sexueller und sexualisierter Gewalt, Missbrauch und Diskriminierung. Bildung, Selbstbestimmung und die Möglichkeit einer eigenen Erwerbstätigkeit für Frauen und Mädchen müssen mehr als bisher Teil der Entwicklungszusammenarbeit werden. Im Konfliktfall muss dieser Personengruppe eine besondere Aufmerksamkeit zukommen, um sie vor Vergewaltigungen, Entführung und Missbrauch zu bewahren beziehungsweise nach solchen traumatisierenden Erlebnissen zu betreuen.
  8. Die Arbeitsbedingungen müssen weltweit nachhaltig verbessert und mit höheren Standards versehen werden. Das Aufkommen von sogenannten Fairtrade-Produkten konnte bislang nur punktuell zu Verbesserungen führen. Statt vergeblich auf zunehmenden Erfolg dieses Ansatzes zu hoffen, müssen verstärkt parallele Maßnahmen vor Ort ergriffen werden. Dabei kann die europäische Entwicklungszusammenarbeit Projekte mit dem Ziel besserer Arbeitnehmerrechte (z.B. Gewerkschaften) sowohl finanziell als auch mit Knowhow unterstützen.  Marginal höhere Verbraucherpreise dürfen kein Hindernis für ein starkes Engagement Deutschlands und der EU für Veränderungen sein. Sollte auch weiterhin keine Verbesserung erkennbar sein, muss über Importverbote im Rahmen auf Basis von neuen Regelungen der Welthandelsorganisation für Produkte aus ausbeuterischer Produktion, Kinderarbeit oder Lohnsklaverei nachgedacht werden. Dabei dürfen aber nicht einfach westliche Standards ohne Anpassung übertragen werden. Vielmehr müssen an den jeweiligen Einzelfall angepasste Verbesserungen der Arbeitsbedingungen gefunden werden, die dem Spannungsfeld aus Rahmenbedingungen vor Ort und einer signifikanten Verbesserung der Lebensbedingungen gerecht werden. Besondere Anforderungen müssen dabei an im Ausland tätige westliche Unternehmen gestellt werden.
  9. Das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), das World Food Programm (WFP), das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) und andere in der internationalen Flüchtlingsversorgung tätigen Organisationen müssen von den Staaten mit ausreichend Mitteln versehen werden, um Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen und zu versorgen. Deutschland und die EU müssen ihren fälligen Kontributionen unverzüglich nachkommen und sollten als Vorbild vorangehen, indem sie diese mindestens verdoppeln.
  10. Dort, wo Konflikte nicht vermieden werden können, muss die Bevölkerung bestmöglich vor dessen Auswirkungen geschützt werden. Dazu sollen in der Konfliktregion selbst sichere humanitäre Schutzzonen geschaffen werden, in die sich die Zivilbevölkerung in Sicherheit bringen kann. Diese sollten UN administriert und durch mit einem robusten Mandat ausgestattete Blauhelmsoldaten gegen alle Konfliktparteien geschützt werden. Das UNHCR, WFP, IKRK und andere Hilfsorganisationen müssen in die Lage versetzt werden, die Flüchtlinge in diesen humanitären Schutzzonen zu versorgen.
  11. Europa wird die Flüchtlingsfrage nur in enger Kooperation mit seinen Nachbarregionen lösen können. In solchen Staaten, die schon heute eine besondere Verantwortung bei der Aufnahme von Flüchtlingen übernehmen (Türkei, Libanon, Jordanien, etc.), wollen wir bei der Schaffung von Sonderwirtschaftszonen unterstützen, um die Situation der Flüchtlinge zu verbessern. Dort sollen Investitionen aus der EU vereinfacht werden und Handelshemmnisse für die Ausfuhr in die EU sofort abgeschafft werden. Gleichzeitig muss jedoch sichergestellt werden, dass dort internationale Menschen- und Arbeitsstandards eingehalten werden.
  12. Eine Verbesserung der Situation in den Herkunfts- und Transitländern der Flüchtlinge kann durch eine Intensivierung der regulären Migration erreicht werden. Deutschland und die EU müssen die Anzahl an Arbeitsmarkt- und Ausbildungsvisa erhöhen. Dazu muss bereits in den betroffenen Staaten über Wege regulärer Migration aufgeklärt und geworben werden. Darüber hinaus müssen die Rahmenbedingungen für Rücküberweisungen (Remittances) in die Herkunfts- und Transitländer vereinfacht werden.

 

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