20.02.2022

Schützen wir unsere Kleinsten!

Sexualisierte Gewalt an Kindern ist laut dem Unabhängigen Beauftragen für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs eines der sichersten Verbrechen in Deutschland. Etliche Verfahren werden eingestellt, die Strafen für Täter:innen befinden sich häufig am unteren Ende rechtlichen Möglichkeiten. Nicht nur Täter:innen wurden damit in Sicherheit gewogen, sondern die Opfer nicht in der Form geschützt, wie es in unserem Rechtsstaat unsere Pflicht ist. Sowohl die Rechtslage als auch die technischen Möglichkeiten zur Unterbindung von sexualisierter Gewalt an Kindern sind reformbedürftig.

Mythen zu Pädophilie und Pädokriminalität aufklären

Der Umgang mit sexualisierter Gewalt an Kindern ist emotionalisiert. Um dem entgegen zu wirken, müssen kriminologische und psychologische Erkenntnisse stärker verbreitet werden und die diesbezügliche Forschung intensiviert werden. Insbesondere muss auch im Sprachgebrauch stärker betont werden, dass einerseits nicht alle Pädophile pädosexuell werden, andererseits der weit überwiegende Teil von Pädokriminalität nicht von pädophilen Tätern begangen wird. Pädophilie ist eine psychische Störung, die einen hohen Leidensdruck bei den Betroffenen auslöst. Dieser wissenschaftlich gebotene Perspektivenwechsel erlaubt ein effektiveres System der Hilfe und Vorsorge zu etablieren.

Kein Täter werden!

Viele Pädophile sind sich der Verwerflichkeit der von ihnen begehrten Handlungen bewusst. Trauen sie sich recht- und frühzeitig professioneller Hilfe an, ist ihnen oft ein straffreies Leben möglich. Demgegenüber verhindert die gesellschaftliche Stigmatisierung von Pädophilie und ihre Gleichsetzung mit Pädokriminalität oft, dass Betroffene sich jemals anderen anvertrauen oder gar Hilfsangebote in Anspruch nehmen.

Betroffene müssen die Möglichkeit erhalten, sich niedrigschwellig über ihr Krankheitsbild und Hilfsangebote informieren zu können. Angebote wie „Kein Täter werden“ sind daher auszubauen. Dabei genießt die Diskretion bei allen Beteiligten höchste Priorität. Die Forschung an Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten dieser psychischen Erkrankung wollen wir aktiv fördern. Es darf nicht wieder Fälle geben, dass landespolitische Regierungen aus ideologischen Gründen Forschung in diesem Bereich behindern.

Resozialisierung ist die beste Prävention

Rechtspolitische Debatten um das Thema Pädokriminalität sind – noch stärker als Strafrechtsdebatten generell – von einem Automatismus hin zu immer schärferenGesetzen geprägt. Das bloße Absitzen von Strafe ist aber vom Standpunkt der Verhütung neuer Taten kurzsichtig und widerspricht dem Gedanken von Resozialisierung. Ein moderner Strafvollzug stellt die Resozialisierung in den Vordergrund. Besonders bei Pädokriminalität erfordert dies, Therapieangebote auszubauen. Auch im Vorfeld einer Entlassung und unmittelbar nach der Entlassung bedarf es ausreichender Betreuung und Unterstützung. Insbesondere sind Therapieangebote für entlassene Sexualstraftäter wie Forensische Ambulanzen vom Staat zu finanzieren.

KURS-Programm fortsetzen und ausbauen

Entgegen landläufiger Annahmen sind Sexualstraftäter im Regelfall resozialisierbar und zu einer straffreien Lebensführung imstande. „Wegschließen, und zwar für immer“ ist in einem freiheitlichen Rechtsstaat nur die ultima ratio. Das KURS-Programm zeigt, dass eine engmaschige Betreuung enorme Erfolge bei der Resozialisierung zeitigt. Dieses und gleich gerichtete Programme wollen wir ausbauen und ausreichend finanzieren.

Zeitgemäße Terminologie

Der heutige Tatbestand des § 184b StGB stellt auf „kinderpornografische Schriften“ ab. Diese umfassen Material unterschiedlichster Art. Aufnahmen des unbekleideten Gesäßes sind ebenso erfasst wie die Darstellung expliziter sexueller Handlungen. Auch werden unter demselben Begriff echte und fiktive, darunter auch nicht wirklichkeitsnahe Darstellungen erfasst. Soweit die Schrift Sexualstraftaten an realen Kindern zeigt, soll künftig von Missbrauchsdarstellungen gesprochen werden, jedenfalls begrifflich eine klare Abhebung von anderen Fallgestaltungen stattfinden.

Reform der §§ 184 b-c StGB

Wer Missbrauchsdarstellungen gewerbsmäßig herstellt und vertreibt, nimmt zur Erzielung von Einkünften Sexualstraftaten an Kindern bewusst in Kauf. Angesichts der Nähe zu einer Teilnahme an diesen Sexualstraftaten selbst und der über einzelne Taten hinausgehenden systematischen Schaffung von Anreizen für solche Taten muss die gewerbsmäßige Herstellung und Verbreitung als Verbrechen mit deutlich höheren Strafen belegt werden. Die bandenmäßige Begehung ist mit einer Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren zu ahnden.

Aber auch der Konsument von Missbrauchsdarstellungen erzeugt durch seine Nachfrage einen Tatanreiz. Auch hier sind höhere Strafen angemessen. Insbesondere sind Therapieverpflichtungen regelmäßig zum Gegenstand von Auflagen und Weisungen zu machen.

Durch diese zielgerichteten Reformen wird die bisherige Vermengung mit Schriften mit geringem Unrechtsgehalt vermieden. In diesem Zusammenhang fordern wir eine fundierte wissenschaftliche Analyse, ob von bislang strafbaren fiktiven Darstellungen – insbesondere pornografische Filme mit erwachsenen Darstellern – tatsächlich ein Anreiz zum Konsum von Missbrauchsdarstellungen oder der Begehung eigener Sexualdelikte ausgeht. Lässt sich ein solcher Zusammenhang nicht hinreichend belegen, fordern wir die Straflosigkeit solcher fiktiver Darstellungen.

Auch der Tatbestand des 184c StGB ist hinsichtlich Missbrauchsdarstellungen entsprechend zu reformieren. Im Übrigen ist der Tatbestand auch neu zu fassen, um dieÜberkriminalisierung des einvernehmlichen Austausches von Bild- und Videodateien zwischen jungen Menschen rechtsklar zu verhindern.

Spy-Cams konsequent bekämpfen

Ein durch die technische Entwicklung in dieser Qualität neuartiges Phänomen ist das Anfertigen heimlicher Nacktaufnahmen oder Aufnahmen von sich ausziehender Personen durch oft kaum sichtbare Aufnahmegeräte (Spy-Cams). Das bisherige Recht wird dem Phänomen nicht gerecht. Das Persönlichkeitsrecht wird durch die Verletzung deutlich tiefer verletzt als im Regelfall einer Verletzung des Rechts am eigenen Bild. Zugleich erfasst § 201a StGB nicht sämtliche Konstellationen. Wir fordern, heimliche Nacktaufnahmen ausnahmslos unter Strafe zu stellen und die Verbreitung besonders hart zu bestrafen. Für die gewerbs- und bandenmäßige Begehung sind Qualifikationstatbestände zu schaffen.

Reform des Sexualstrafrechts

Das Strafgesetzbuch spricht in § 176 StGB Menschen unter 14 Jahren (Kindern) ausnahmslos die Fähigkeit ab, wirksam in sexuelle Handlungen einzuwilligen. Dies halten wir auch weiterhin für angemessen. Die Strafbarkeit sexueller Handlungen mit Kindern findet ihre Rechtfertigung allerdings im Vorliegen eines altersbedingten Defizites der sexuellen Autonomie der jüngeren Person. Bei nahezu Gleichaltrigen führt dies zu einer nicht zu rechtfertigenden Kriminalisierung und damit zur Einschränkung der Rechte beider Beteiligter auf sexuelle Selbstbestimmung. Sexuelle Handlungen bleiben von Gesetzes wegen nach § 176 StGB straffrei, wenn der Altersunterschied zwischen den Beteiligten weniger als 24 Monate beträgt. Das Gericht kann von Strafe absehen oder diese nach § 49 Abs. 2 StGB mindern, wenn das Opfer das 12. Lebensjahr vollendet hat, der Täter das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgte.

Die gegenwärtige Gesetzeslage wird nicht der Schwere von nicht-einvernehmlichen Handlungen an Kindern durch Erwachsene gerecht. Für diese Fälle halten wir eine Strafverschärfung für angemessen. Entsprechend den Stellungnahmen aus der Strafrechtswissenschaft sehen wir pauschalierende Lösungen für kritisch, die keinen Raum für Differenzierung im Strafmaß bieten.

Sensible Strafrechtspflege

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung erfordern eine besondere Aufmerksamkeit vonseiten der Justiz. An den Landgerichten sollten, wo möglich Spezialkammern eingerichtet werden. Justizpersonal ist regelmäßig und qualitativ hochwertig zu schulen. Defizite im Umgang mit Sexualstraftaten haben ihren Ursprung aber auch in der weitgehenden Tabuisierung in der rechtswissenschaftlichen Ausbildung. Teile des 13. Abschnitts des StGB sollen überblicksweise in den Pflichtfachstoff aufgenommen werden.

Die Aussagepsychologie bewährt sich besonders in kritischen Konstellationen. Eine defizitäre Anwendung hat schreckliche Auswirkungen für alle Beteiligten, nicht zuletzt die Kinder selbst, wie die Wormser Prozesse gezeigt haben. Obwohl die Beweiswürdigung zum Kernbereich richterlicher Tätigkeit gehört, ist ihre Behandlungim Referendariat, aber auch der Richterfortbildung völlig unterkomplex und randständig. Diese soll zukünftig einen größeren Stellenwert in der Ausbildung bei der Strafstation einnehmen und auch von psychologischen Experten nahegebracht werden. Dies gilt umso mehr für den Justizdienst. Für Justizpersonal, welches für Sexualdelikte und Delikte gegen Kinder zuständig ist, sind die entsprechenden Besonderheiten eingehend nahe zu bringen.

Zur Sensibilisierung gehört auch ein empathischer Umgang mit allen Beteiligten. Eine „sekundäre Viktimisierung“ ist soweit als möglich zu vermeiden. Insbesondere ist dem Rechtsgedanken des Verjährungsrechts Rechnung zu tragen. Opfer trauen sich oft erst nach Jahrzehnten, über ihre Erfahrungen zu reden oder gar die Strafverfolgung zu betreiben. Daher begrüßen wir die Verjährungshemmung bis zum 30. Lebensjahr des Opfers. Gleichermaßen gilt auch, dass eine Anklage nach langer Zeit keine Anklage zweiter Klasse ist. Wenn ein Opfer redet – wenn auch nach längerer Zeit – verdient dies Respekt und Achtung. Dieser Umstand als solcher darf daher nicht zu einer Bewertung als weniger schwerwiegend führen.

Psychologische Betreuung von Opfern

Der Umgang mit Betroffenen kann nur gelingen, wenn ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl vorhanden ist. Von der Erstberatung von Opfern über die psychologische Betreuung bis hin zur psychosozialen Prozessbegleitung ist eine qualitative Unterstützung sicherzustellen. Dies umschließt auch Unterstützung nach dem Abschluss des Strafverfahrens und den Übergang in die nicht-justizbezogene Betreuung, um hier Brüche in der Betreuung zu vermeiden.

Ansprechpersonen für Pädokriminalität schaffen

Sexualstraftaten zulasten von Kindern können häufig nur durch Institutionen erkannt werden. Schulen, Kindergärten und ähnliche Einrichtungen haben standardmäßig Schutzkonzepte einzuführen. Wer im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit den Verdacht von Pädokriminalität hat, fühlt sich oft überfordert.  Für Institutionen sind deshalb eindeutige Ansprechpersonen zu schaffen, die den Erstkontakt mit der Institution sichern und weitere Behörden einschalten und eine Vermittlungsrolle innehaben. Dies betrifft insbesondere Krankenhäuser, in denen die jeweils zuständigen Ärtz:innen oft wechseln und auch durch den einmaligen, kurzfristigen Aufenthalt von Patient:innen Verdachtsmomenten oft nicht nachgegangen werden kann. Hier sind auch klinikintern Stellen nicht-ärztlichen Personals zu schaffen, welche sich der weiteren Bearbeitung solcher Fälle, insbesondere der Zusammenarbeit mit den Behörden, annehmen.

Regulierung von legalen Pornografieplattformen

Der Betrieb von Plattformen, deren Geschäftszweck pornografische Inhalte sind (Pornografieplattformen), ist in einer freiheitlichen Gesellschaft nichts anrüchiges. Moralismus hat in der Rechtsordnung keinen Platz. Jedoch bergen solche Portale besondere Risiken für die Verbreitung illegalen Materials. Das notice-and-take-down-Verfahren ist hier standardmäßig durchzuführen.

Meldepflicht für kindermissbräuchliche Inhalte nach US-amerikanischen Vorbild

Plattformen im Internet sind für die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen oft einentscheidendes Medium. Im Rahmen des notice-and-take-down-Verfahren sind rechtswidrige Inhalte zu sperren und zu löschen. Im Falle von Missbrauchsdarstellungen soll darüber hinaus eine Meldepflicht an eine zu schaffende, zentrale Ermittlungsstelle eingeführt werden.

Zentral gegen Missbrauchsdarstellungen vorgehen

Der Kampf gegen Missbrauchsdarstellungen an Kindern erfordert die Konzentration unserer Kräfte. Wir möchten uns deswegen dafür einsetzen, dass bestehende Opferschutzverbände besser ausgestattet werden und auf die Gründung eines zentralen Dachverbandes hingewirkt wird. Zusätzlich befürworten wir die Einrichtung einer CyberTipline, wie sie vom US-Kongress eingesetzt wurde. Die CyberTipline ermöglicht es künftig sowohl privaten als auch gewerblichen Internetnutzern, Berichte über Missbrauchshandlungen an Kindern zu erstatten.

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