26.11.2015

Offen aber geordnet – Für eine rechtsstaatliche Migrationspolitik

Die Jungen Liberalen zeigen sich erschüttert vom offensichtlichen Versagen der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik. Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung muss sich umgehend den internationalen und grundgesetzlichen Tatsachen stellen. Die südlichen und östlichen EU-Staaten sind seit Jahren mit den ankommenden Flüchtlingen organisatorisch und zahlenmäßig überfordert. Deutschland trägt mit seiner Untätigkeit in der Vergangenheit eine maßgebliche Mitschuld an den aktuellen Entwicklungen. Seit Monaten ist das Rechtssystem der europäischen Flüchtlingspolitik in Form der Dublin III-Verordnung faktisch außer Kraft und durch nationale Einzelgänge der EU-Staaten abgelöst worden. An der griechischen EU-Außengrenze findet eine Kontrolle der Einreise in nennenswertem Maße nicht mehr statt. Transitstaaten sehen keine Veranlassung, illegale Grenzübertritte zu verhindern und zu verfolgen, weil die meisten Flüchtlinge ohnehin nicht länger dort verbleiben wollen. Durch diesen eklatanten Bruch europäischen Rechts sehen sich insbesondere Deutschland, österreich und Schweden einer nie dagewesenen Zunahme der Flüchtlingszahlen entgegen. Auch für Transitländer wie Ungarn sind die Belastungsgrenzen bereits überschritten, der menschenrechtskonforme Umgang mit Flüchtlingen ist teilweise nicht mehr gewährleistet. Statt aber in dieser Situation eine klare Linie zu verfolgen, stolpert die Bundesregierung von Einzelmaßnahmen zu Einzelmaßnahmen, die einander noch dazu widersprechen. So war es ein schwerer Fehler, der rechtswidrigen Einreise tausender Flüchtlinge aus Ungarn zuzustimmen und somit einen weiteren Anreiz zur Einreise zu setzen, weniger als eine Woche später aber die Einführung temporärer Grenzkontrollen an der Grenze zu österreich anzuordnen. Diese Politik ist nicht nur kurzsichtig, sondern schwächt zusätzlich europäisches Recht. Die Einführung der Grenzkontrollen ist kurzfristig zwingend erforderlich zur Wiederherstellung der rechtsstaatlichen Ordnung bei der Einreise von Flüchtlingen, löst aber kein Problem langfristig. Zur Sicherstellung einer geordneten und rechtsstaatlichen Flüchtlingspolitik müssen folgende Maßnahmen zeitnah umgesetzt werden:

  1. Die Bundesregierung muss sich gegenüber den europäischen Institutionen und den Mitgliedsstaaten der EU weiterhin für eine Europäisierung der Flüchtlings- und Asylpolitik einsetzen. Zentraler Hebel hierfür ist ein verbindliches Quotensystem zur Verteilung in der EU ankommender Flüchtlinge auf alle Mitgliedsstaaten. Um einen gerechten Ausgleich zu schaffen, soll die Verteilungsquote anhand der Bevölkerungszahl und wirtschaftlicher Faktoren wie Wirtschaftsleistung und Arbeitslosenquote sowie den bereits aufgenommenen Flüchtlingen erfolgen. Hierbei soll ein Zweistufensystem eingeführt werden:Im ersten Schritt muss jeder Mitgliedsstaat nach der Quote eine Mindestanzahl an Asylbewerbern aufnehmen. In einem zweiten Schritt können sich Staaten freiwillig für weitere Flüchtlinge öffnen. Die Finanzierung erfolgt über einen europäischen Topf, der pro Asylsuchendem eine Pauschale, gestaffelt nach den Lebenshaltungskosten in den Mitgliedsstaaten, auszahlt. Finanziert wird dieser Topf durch die Beitragszahlungen der Mitgliedsländer gemäß ihrer Wirtschaftsleistung und Einwohnerzahl. Dementsprechend ist es den Ländern freigestellt, ob sie finanziell für die Asylbewerber auch außerhalb ihres Landes in der EU aufkommen oder sie selbst beherbergen. Auch die Kosten der Ankunft und Weiterleitung werden gemeinsam getragen. So können die Regierungen, je nach der Situation ihres Landes und den Bedürfnissen der Bevölkerung, die Asylpolitik gestalten. Ist die Anzahl der Flüchtlinge größer als die freiwillige Aufnahmebereitschaft in den Mitgliedsstaaten, greift der Aufteilungsschlüssel weiter. Dabei muss sichergestellt sein, dass hinsichtlich des Verfahrens einheitliche Mindeststandards erfüllt werden, zugeteilte Personen ihr Asylverfahren vollständig im entsprechenden Mitgliedsstaat durchlaufen – wobei bei der Zuteilung auch auf familiäre Verbindungen oder sonstige Anknüpfungspunkte zu achten ist – und vor Ablauf einer mehrjährigen Frist keinen Anspruch auf soziale Leistungen in den anderen Mitgliedsstaaten haben. Langfristig fordern wir ein gemeinsames europäisches Asylrecht mit einheitlichen Verfahren. Dieser Asylstatus soll in allen Mitgliedsstaaten anerkannt werden.
  2. Sichere EU-Außengrenzen sind die Bedingung für freie Binnengrenzen. Kurzfristig muss die EU in Absprache mit der nationalen Regierung mit eigenen Mitteln für einen effektiven Grenzschutz in Griechenland sorgen. Hierfür soll die EU-Grenzschutzagentur im Einklang mit der europäischen Grundrechtecharta unmittelbar Vorbereitungen aufnehmen und ggf. durch Beamte aus den Mitgliedsstaaten unterstützt werden. Den Aufbau von Grenzzäunen oder anderen Hindernissen lehnen wir ab. Damit es gar nicht erst zu dieser Situation kommt, soll ein europäisches Visum für Flüchtlinge nach dem Schweizer Vorbild des "Visum aus humanitären Gründen" geschaffen werden. Dieses kann bei den Botschaften der Europäischen Union beantragt werden, schafft so die Möglichkeit der legalen Einreise und verhindert lebensbedrohliche Reisen für die Flüchtlinge.
  3. Solange der Schutz der EU-Außengrenzen nicht hinreichend sichergestellt und die Dublin III-Verordnung weiter missachtet wird, muss die unkontrollierte Weiterreise von Flüchtlingen innerhalb der EU unterbunden werden. Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen zwischen Mitgliedsstaaten des Schengener Abkommens darf aber nur eine vorübergehende Maßnahme sein und muss als Mittel zur Erhöhung des Drucks auf diejenigen europäischen Staaten verstanden werden, die derzeit die Einführung eines europäischen Quotensystems blockieren. Ziel muss die schnellstmögliche Rückkehr zur Durchsetzung des bestehenden Rechts sein, damit die Kontrollen der Binnengrenzen wieder beendet werden können. Schengen-Visa an registrierte Flüchtlinge zur Weiterreise in der EU sollen vorläufig nicht mehr vergeben werden dürfen.
  4. Einige Transitstaaten benötigen unmittelbar Hilfe bei der humanita?ren Unterbringung von Flüchtlingen. Die Bundesregierung soll hierfür die Unterstützung des Technischen Hilfswerks und der Bundeswehr anbieten, die beispielsweise bei der Errichtung kurzfristiger Unterkünfte, der Nahrungsmittelversorgung oder medizinischer Versorgung helfen können. Die EU soll hierfür entsprechende Gelder aus dem Nothilfefonds zur Verfügung stellen.
  5. Der Antragsstau im Bundesamt für Migration und Flüchtige (BAMF) muss dringend abgebaut werden. Das BAMF, die Gerichte und die betroffene Verwaltung sollen umfänglich für die Bearbeitung der Verfahren auf die Möglichkeiten der digitalen Datenübertragung umstellen. Hierzu müssen kurzfristig Abordnungen aus anderen Bundesbehörden erfolgen und Pensiona?re reaktiviert werden. In der Vergangenheit gestellte Asylantra?ge aus Syrien, Irak und Eritrea sollen nach Feststellung der Identita?t und unproblematischer Sicherheitsüberprüfung einmalig anerkannt werden. Gleichzeitig müssen die verbleibenden Staaten des Westbalkans dringend zu sicheren Herkunftsla?ndern erkla?rt werden. Asylsuchende aus diesen Staaten sollen nicht mehr an die Kommunen verteilt werden, sondern in den Erstaufnahmeeinrichtungen der La?nder verbleiben, um zeitnah nach der Ablehnung der Antra?ge deren Ausreise durchzusetzen. Zudem muss für die Staaten des Westbalkans die Aufhebung der Visumspflicht zeitlich begrenzt zurückgenommen werden. In Individualfa?llen bleibt auch für sichere Herkunftsstaaten der Asylanspruch bestehen. Die Aufenthaltsdauer in einer Erstaufnahmeeinrichtung darf nicht länger als drei Monate betragen. Das Asylverfahren muss nach Möglichkeit im selben Zeitraum abgeschlossen werden.
  6. Die Kommunen müssen dringend durch Land und Bund entlastet werden. Hierfür soll die Bundesregierung bundeseigene Grundstücke, zum Beispiel stillgelegte Bundeswehrkasernen, zur Unterbringung von Flüchtlingen freigeben und die Kostenpauschalen pro Flüchtling auf die Höhe der tatsa?chlich anfallenden Kosten anheben. Da bislang außerhalb der Zuweisung Unterzubringende nicht berücksichtigt werden, fordern wir, einen neuen Verteilungsschlüssel auszuarbeiten. Zudem muss dabei eine Möglichkeit geschaffen werden, Wohnungsleerstand beziehungsweise Bevölkerungsschwa?mme in manchen Regionen angemessen zu berücksichtigen. Nicht einvernehmliche Beschlagnahmungen von privatem Eigentum für die Unterbringung von Flüchtlingen darf es nicht geben. Stattdessen sind der Wohnungsmarkt und das Genehmigungsverfahren für Um- und Neubauten zu entbürokratisieren und zu liberalisieren. Insbesondere sollen Baugenehmigungen schneller erteilt werden.
  7. Die deutsche Bundesregierung soll in Zusammenarbeit mit den Regierungen der Balkan-Staaten Aufklärungsarbeit über die geringen Anerkennungsquoten im Asylverfahren und die durch Schleuser verbreiteten Mythen leisten. Um die Fluchtursachen nachhaltig zu bekämpfen müssen südosteuropäischen und die Balkan-Länder, aber auch die Probleme unterprivilegierter Gruppen, wie z.B. Sinti und Roma, angehen. Hier sollte die deutsche Bundesregierung im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung strategisch und finanziell partnerschaftlich tätig werden.
  8. Offensichtliche Fluchtursachen wie der Bürgerkrieg in Syrien müssen sta?rker in den Fokus deutscher und europa?ischer Außen- und Entwicklungspolitik genommen werden. Die Kürzung der Lebensmittelrationen für Flüchtlinge in Flüchtlingslagern an der Grenze zu Syrien durch die UN trägt weiter zu den aktuellen Fluchtursachen bei. Die EU und die Bundesregierung müssen sich für eine angemessene finanzielle Austattung der UN zwecks Flüchtlingsversorgung einsetzen." Für Syrien muss in Zusammenarbeit mit unseren westlichen Partnern, der Türkei und Russland eine abgestimmte Strategie zur Einda?mmung des Bürgerkriegs entwickelt werden. Teil dieser Strategie kann ausdrücklich auch ein milita?risches Eingreifen aus der Luft und am Boden gegen den IS in Syrien sein, im Irak nur mit Zustimmung der nationalen Regierung. Die Bundesrepublik muss auf einen Militäreinsatz möglichst unter UN Mandat im Rahmen einer humanitären Intervention, einen Einsatz gegen den IS in Syrien und im Irak erwirken. Für die betroffenen Nationen ist ein „Marshall-Plan“ zu erarbeiten, der für die langfristige Demokratisierung und Friedenssicherung in der Region sorgen kann. Auch die Flüchtlingssituation im West-Balkan muss ursächlich bekämpft werden. Hier muss der Fokus vor allem auf diplomatischen Lösungen liegen. Den West-Balkan-Staaten ist eine zeitnahe EU-Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen, wenn sie die dafür notwendigen Voraussetzungen erfüllen.
  9. Die Bundesregierung muss die legalen Zuwanderungsperspektiven nach Deutschland verbessern. Auch sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge haben ein legitimes und nachvollziehbares Interesse, na?mlich die Verbesserung der eigenen Lebenssituation. Diesen Menschen muss die Bundesregierung mit einem Einwanderungsgesetz offen und einladend gegenüber treten. Nach einem besseren Einwanderungsgesetz sollen Einwanderungswillige ihre Chancen selbst in der Hand haben, legal in Deutschland arbeiten und dauerhaft leben zu können. Dabei sollen die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis für Einwanderungswillige zum einen nach Qualifikation und Bedarf im Rahmen eines Punktesystems möglich sein. Zum anderen wird ein einjähriges Arbeits- und Aufenthaltsvisum gewährt, sofern ein Antragssteller den Nachweis erbringen kann, dass dieser für den Zeitraum seines Aufenthaltes von bis zu einem Jahr über hinreichende Mittel sowie einen Krankenversicherungsschutz verfügt. Sollte der Antragssteller dann eine unbefristete Beschäftigung von bereits mindestens drei Monaten Dauer als Arbeitnehmer oder als Selbstständiger nachweisen können, erhält dieser das Recht auf die Erteilung einer unbefristeten Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis.
  10. Es müssen jetzt schon Maßnahmen zur langfristigen Integration der Flüchtlinge ergriffen werden. Es muss verpflichtender, vom Bund finanzierter Deutschunterricht für alle Flüchtlinge eingeführt werden. Dieser muss a?hnlich wie in Schweden geschichtliche und kulturelle Aspekte unseres Landes enthalten. Dabei ist die Möglichkeit zu prüfen, dass große ehrenamtliche Engagement der Bevölkerung einzubinden und zu koordinieren. Auf der anderen Seite sollten die zuständigen Sachbearbeiter nach Möglichkeit zumindest eine zweite Sprache beherrschen und je nach Anforderung interkulturell geschult sein. Darüber hinaus sind Maßnahmen zu ergreifen, um die Flüchtlinge schnellstmöglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren – sowohl im Niedriglohnbereich als auch im Ausbildungsbereich sowie im normalen Arbeitsmarkt. Damit verbunden ist die Prüfung von Anerkennung von ausländischen Schul- und Hochschulabschlüssen sowie Berufsabschlüssen nach geltenden Standards. Um Arbeitgebern Planungssicherheit zu geben, muss für die bei ihnen beschäftigen Flüchtlinge die Möglichkeit bestehen, eine dauerhafte Aufenthalts- sowie Arbeitserlaubnis zu bekommen. Einer der wichtigsten Faktoren für eine schnelle und erfolgreiche Integration ist gesellschaftliche Teilhabe. Dies drückt sich vor allem durch die Teilhabe am Arbeitsmarkt aus. Jeder registrierte Flüchtling, unabhängig vom Bearbeitungsstatus seines Antrages, ist sofort mit einer Arbeitserlaubnis auszustatten. Auch soll vermehrt auf die Selbstverwaltung von Flüchtlingsunterkünften gesetzt werden und in diesem Rahmen Flüchtlingen die Möglichkeit gegeben werden, gegen eine Aufwandsentschädigung in ihrer eigenen Unterbringung zu arbeiten. Um auf die große Anzahl von Flüchtlingen sowohl auf dem Arbeitsmarkt als auch auf dem Wohnungsmarkt angemessen reagieren zu können müssen Markthemmnisse abgebaut werden. Der Mindestlohn, die Mietpreisbremse und weitere Hemmnisse für den Bau von Wohnungen sowie die Aufnahme einer Arbeit müssen abgeschafft werden.
  11. Die ausschließliche Auszahlung von Leistungen an Asylbewerber in Form von Sachleistungen lehnen wir ab. Die Auszahlung von Leistungen in Form von Geld dienen auch der Integration und der Teilhabe an der Gesellschaft.
  12. Der Stil der aktuell geführten Flüchtlingsdebatte muss sich versachlichen. Angst und Hass sind ebenso wie übertrieben gefühlsgesteuerte Politik keine Lösung, sondern verursachen ihrerseits nur weitere Probleme. Wir laden daher alle politischen Akteure ein, tatsächliche Fakten zur Kenntnis zu nehmen und sich in Stil und Inhalt an ihnen zu orientieren.

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