09.05.2021

Mental Health Status: Es ist kompliziert

Psychische Gesundheit ist ein Grundpfeiler für ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben. Gleichzeitig werden Menschen mit psychischen Erkrankungen häufig stigmatisiert und Hilfsangebote sind schwer erhältlich oder fehlen gar völlig. Für uns Junge Liberale ist es eine Selbstverständlichkeit, Stigmata aufzubrechen, Vorurteilen entgegenzutreten und die Versorgung für Betroffene zu verbessern. Wir fordern daher keine Lippenbekenntnisse, sondern konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der aktuellen Versorgungslage für Menschen mit psychischen Erkrankungen.

  1. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene

Bildungseinrichtungen sind ein Lebensmittelpunkt für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene und benötigen daher ein verpflichtendes Konzept im Umgang mit psychischen Erkrankungen, um eine angemessene Unterstützung von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu gewährleisten. Im ersten Schritt fordern die Jungen Liberalen ein interdisziplinäres Expertengremium mit Vertreter:innen aus Pädagogik, Medizin, Psychologie, Rechtswissenschaften sowie des Bildungsministeriums zur Erstellung eines Leitlinienvorschlags für alle Bildungseinrichtungen für die Kultusministerkonferenz.

Darauf aufbauend soll je ein einrichtungsspezifisches Konzept erarbeitet werden, welches z.B. Schulen in der Bewältigung unterstützt. Dies soll unter Vermeidung von weiteren Pflichten für Lehrende durch spezifische dafür zuständige Stellen (z.B. Beauftragte) geschehen. Zur Implementierung des Konzeptes soll es eine Stelle je Bundesland geben, die diese koordiniert und bei der Umsetzung des Leitfadens in die Konzepte behilflich ist.

Des Weiteren fordern die Jungen Liberalen einen massiven Ausbau an Stellen für Schulpsycholog:innen, dieser soll in einem ersten Schritt entsprechend des Schlüssels von 1973 (1:5000 Schüler) verpflichtend in allen Bundesländern umgesetzt sowie gesetzlich verankert werden. Schulpsycholog:innen sollen eng sowohl mit dem Lehrpersonal zusammenarbeiten, als auch mit den Schüler:innen, welche bei der Form der schulpsychologischen Betreuung ein Mitspracherecht haben sollen, das durch die jeweiligen Schulgesetzen gesichert wird.

Das schulpsychologische Tätigkeitsfeld umfasst auch den Besuch von Klassen, um dort die Schüler:innen zu sensibilisieren und Präventionsarbeit zu leisten. Damit soll Mobbing von Kindern mit psychischen Erkrankungen vorgebeugt und Erste-Hilfe bei psychischen Krisen vermittelt werden. Unerlässlich ist die Zusammenarbeit zwischen Schulpsycholog:innen, Schulsozialarbeiter:innen und Eltern (die selbst oder deren Kinder betroffen sind), um individuelle Lösungen für das Kind zu finden.

Für Menschen mit psychischen Erkrankungen müssen Härtefallregelungen auch bei Problemen durch psychische Erkrankungen greifen, damit diesen zusätzlicher Druck genommen wird und sie ihre Leistungen nach ihrem vollen Potenzial erbringen können.

Für Lehrpersonen fordern wir regelmäßige, verpflichtende Fortbildungen, die Überforderung ihrerseits vorbeugen und Stigmatisierung Betroffener entgegenwirken sollen, damit sie ihrer Vorbildfunktion vollumfänglich gerecht werden können.

Familiencoachings oder Familientherapie sind ein Weg zur Unterstützung betroffener Familien, weshalb diese als Krankenkassenleistung anerkannt werden sollen. Hierzu soll Coaching für psychische Gesundheit in eine standardisierte Ausbildung und geschützten Beruf umgewandelt werden, damit die Qualität sichergestellt werden kann.

Die Jungen Liberalen fordern die Sicherstellung der Finanzierung konfessionsunabhängiger Kinder-/Jugendseelsorge- und Beratungsangebote, um Menschen verschiedener Glaubensrichtungen bei der Verarbeitung von Trauer zu unterstützen.

Um Kinder und Jugendliche in von häuslicher Gewalt betroffenen Familien zu schützen, braucht es einen Ausbau von Frauen- und Männerschutzhäusern mit der Möglichkeit, eigene Kinder mitnehmen zu können. Die Anzahl der Frauenhäuser soll entsprechend der Istanbul Konvention ausgebaut werden und für Männer soll kurzfristig je Bundesland eins geschaffen werden.

Oftmals sind Justiz und Verwaltung nicht auf den Umgang mit von psychischen Erkrankungen betroffenen Kindern und Jugendlichen eingestellt. Deshalb fordern wir in der Aus- und Weiterbildung von Jurist:innen, Justizvollzugsbeamt:innen sowie Polizist:innen und Rechtsmediziner:innen die Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse der Psychologie und Psychiatrie.

Selbstbestimmung in jeder Lebenslage ist das Ziel einer liberalen Politik. Auch Menschen mit psychischen Erkrankungen muss diese Autonomie soweit wie möglich erhalten werden. Die zwangsweise Unterbringung von Menschen mit psychischen Erkrankungen wegen Selbstgefährdung muss hohen Anforderungen unterliegen, die auch in der Praxis engmaschig kontrolliert werden. Die Ausgestaltung der Unterbringung muss Würde und Autonomie der Untergebrachten konsequent in den Mittelpunkt stellen. Die Verlängerung von Freiheitseingriffen darf kein Automatismus sein. Gutachten dürfen nach den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht einfach aufeinander aufbauen, sondern müssen ergebnisoffen und von wechselnden Gutachtern erstellt werden. Untergebrachte müssen Vertrauensstellen kontaktieren können, um möglichen Missbrauch oder Fehlverhalten melden zu können.

  1. Ambulante Therapie und stationäre Klinikaufenthalte

Das Vergütungssystem PEPP muss hin zu einem Entgeltsystem entwickelt werden, das sich am Bedarf der Patient:innen orientiert. Wir fordern daher eine Abrechnung nach erbrachten ärztlichen Leistungen für die nach ärztlicher Einschätzung notwendigen Behandlungsdauer.

Nach klinischen Aufenthalten kommt der Nachbetreuung ein außerordentlicher Stellenwert zu, um therapeutische Erfolge langfristig zu sichern. Deswegen fordern wir ein besseres, in sich abgestimmtes Entlassmanagement, das einen nachhaltigen Übergang zwischen stationärer und ambulanter Behandlung in beide Richtungen sicherstellt. Hierunter fallen beispielsweise, aber nicht abschließend, die Suche nach einem ambulanten Psychotherapieplatz, einen Platz in Einrichtungen für betreutes Wohnen, in Tageskliniken oder Tagesstätten. Nur so kann der stationär erreichte Behandlungserfolg langfristig gesichert und in den Alltag übertragen werden. Dafür braucht es standarisierte Verfahren sowie Konzepte und Betreuungsnetze, die diese Stationen abdecken sowie verbesserte Finanzierungsmöglichkeiten für ein qualitativ hochwertiges Entlassmanagement.

  1. Versorgungssituation Stadt & Land 

Die derzeitige Situation der Wartezeiten auf einen Therapieplatz ist inakzeptabel. Daher müssen zur Senkung der Wartezeiten kurzfristig die Bedarfsplanung nach oben korrigiert werden, also die Anzahl der zu vergebenden Kassensitze für Psychotherapeut:innen und Fachärzt:innen für Psychiatrie und Psychotherapie deutlich erhöht werden. Mittelfristig fordern wir Niederlassungsfreiheit bei gleichzeitiger Abrechnungsmöglichkeit mit den gesetzlichen Krankenkassen. Des Weiteren fordern wir einen Ausbau des Sozialpsychiatrischen Dienstes (SPDi), beispielsweise durch eine Kofinanzierung des Bundes.

Um den flächendeckenden Ausbau der psychischen Gesundheitsversorgung Vorschub zu leisten, muss die Psychotherapie per Videotelefonie ermöglicht werden. Damit dies erreicht werden kann, muss die Begrenzung auf max. 20% der Sitzungen permanent aufgehoben werden. Datenschutz und Datensicherheit müssen hierbei entsprechend der DSGVO gewährleistet sein. Um den ländlichen Raum zu stärken, braucht es Förderprogramme mit Anreizen, damit sich in Regionen mit aktuellem Mangel die entsprechenden Fachleute niederlassen.

Die Terminservicestellen sind flächendeckend auch für die Vermittlung von Psychotherapieplätzen auszubauen und für alle gängigen Kontaktwege (per E-Mail, per Telefon, per Fax, postalisch, in Gebärdensprache und als Sprechstunden) zu öffnen. Dadurch soll die Möglichkeit gegeben sein, dass jede:r mit Interesse an einem Termin auch einen barrierefreien Weg hat, um diesen zu erhalten.

  1. Ausbildung von Psychotherapeut:innen

Um den steigenden Bedarf an Psychotherapeut:innen zu decken, muss die Anzahl der Studienplätze und Universitätsprofessuren für Psychologie und Psychotherapie erhöht werden.

Wir sehen die bisherige Reform der Therapieausbildung positiv, aber damit sie zum Erfolg führt, müssen nun weitere Lücken geschlossen werde. So braucht es eine verbesserte Übergangsregelung für Absolvent:innen der bisherigen Psychologiestudiengänge. Die Möglichkeit einer Psychotherapeutenausbildung sollte für alle zum Zeitpunkt der Reform eingeschrieben Studierenden der Psychologie erhalten bleiben. Eine Möglichkeit hierfür wäre das Nachholen der praktischen Anteile des neuen Psychotherapie-Masterstudienganges und anschließendes erhalten der Approbation. Weiterhin muss auch der neue Weg (über das Studium eines polyvalenten Bachelorprogrammes und eines spezialisierten Masterprogrammes sowie die anschließende Weiterbildung) grundsätzlich berufsbegleitend und in Teilzeit möglich bleiben, um den verschieden Lebenssituationen der Lernenden gerecht zu werden.

Für Mitarbeiter:innen an psychiatrisch arbeitenden Institutionen sollen rechtliche Fortbildungen zum Thema Selbstbestimmung und Teilhabe an Entscheidungen verpflichtend eingeführt werden. So sollen die Entscheidungen unabhängig vom Alter nach Möglichkeit durch die Betroffenen selbst gefällt werden.

Um die Mündigkeit von Betroffenen zu fördern und therapeutische Einrichtungen zu entlasten ist Hilfe durch Selbsthilfe ein Weg, der sich in der Vergangenheit bewährt hat. Daher ist eine finanzielle Stärkung von Selbsthilfevereinen unerlässlich, um den Gruppen die Deckung der laufenden Kosten zu ermöglichen.

  1. Forschung und Prävention

Wir wollen gesellschaftlichen Stigma, allgemeinen Tabus und der breiten Unkenntnis über psychische Erkrankungen etwas entgegensetzen. Daher fordern wir eine umfangreiche Kampagne durch die BZgA.

Psychopharmaka wurden vermehrt an Frauen getestet und führen bei Männern teilweise zu mehr oder anderen Nebenwirkungen. Um unnötige Nebenwirkungen zu vermeiden, fordern wir zum einen Leitlinien, die bei der Dosierung das Geschlecht und weitere relevante Merkmale berücksichtigen, zum anderen bei Zulassungsstudien eine Aufschlüsselung der Nebenwirkungen nach Geschlecht.

  1. Rechtliches

Kassensitzinhaber:innen, die in Rente gehen, können aktuell eine:n Nachfolger:in für ihren Kassensitz empfehlen. Hierdurch ist ein Markt entstanden, an dem bis zu 100.000 Euro pro Kassensitz gezahlt werden. Dies steht im Widerspruch zur Intention des Gesetzgebers und muss beendet werden. Verstöße müssen geahndet werden können und in der Entziehung des Kassensitzes münden.

Die Stärkung von Rechten psychisch kranker Menschen, am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Ausbildung und an Hochschulen muss sichergestellt werden, damit es zu keiner aus einer Erkrankung resultierenden Diskriminierung dieser kommt.

Im Bereich der klinisch stationären Versorgung sind unabhängige Kontrollen, die jährlich und zwingend unangekündigt durchgeführt werden, notwendig, um Missstände festzustellen und ggf. Maßnahmen einzuleiten. Gerade zu Zeiten der Pandemie, zu der kein Publikumsverkehr, welcher auch eine gewisse Kontrollfunktion besitzt, sind diese Stellen umso wichtiger. Die Kontrollen müssen standardisiert stattfinden, protokolliert werden, sowie in enger Abstimmung mit den Amtsanwaltschschaften passieren, um im Zweifel für eine schnelle Aufklärung von Verdachtsmomenten zu sorgen.

Angesiedelt werden soll die kontrollierende Instanz bei einem staatlichen Beauftragen, der auch die Beschwerdestelle für eingehende Berichte darstellt. Diesem obliegen die Durchführung und Überprüfung gemäß den Vorgaben, des Gesetzgebers.

Mindestens zweimal jährlich sollen die 16 Beschwerdestellen zusammenkommen, um sich auszutauschen und über die Missstände, sowie dagegen unternommenen Maßnahmen auszutauschen, unter Leitung des zuständigen Bundesministeriums. In der Verantwortung des Bundesministeriums liegt es auch einen jährlichen Bericht zu erarbeiten der den Versorgungsstand, Herausforderungen, Missstände und zukünftige Maßnahmen umfasst, herauszugeben und der Öffentlichkeit in Gänze zugänglich zu machen.

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