29.10.2016

Einstieg zum Aufstieg – für eine moderne berufliche Bildung

Für Liberale zählt nicht, woher jemand kommt, sondern wohin er möchte. Der individuelle soziale Hintergrund darf bei der persönlichen Entwicklung und Ausbildung keine unüberwindbare Hürde darstellen. Der Staat schafft dann faire Chancen, wenn er die soziale Mobilität erhöht, also insbesondere Aufstiegschancen eröffnet und indem er die Durchlässigkeit nach oben verbessert. Wenn die Aufzüge zwischen verschiedenen sozialen Schichten in einer Gesellschaft funktionieren, werden Talent, Ehrgeiz und Anstrengung belohnt. Neben einem erfolgreichen Schulabschluss und der Möglichkeit ein Studium aufzunehmen, ist die Absolvierung einer Berufsausbildung der Garant für eine selbstbestimmte Zukunft – aber sie muss auch wieder der Einstieg für den Aufzug zum Aufstieg sein.
Die deutsche Berufsausbildung genießt in der Welt einen exzellenten Ruf, während sie in Deutschland vor großen Herausforderungen steht. Sowohl die duale Ausbildung als auch die vollzeitschulische Ausbildung mit ihren jeweiligen Verknüpfungen von theoretischen und praktischen Elementen haben sich dabei bewährt. Das deutsche Ausbildungssystem verbindet den Bildungs- und Arbeitsmarkt, verringert die Jugendarbeitslosigkeit, ermöglicht die Ausbildung qualifizierter, junger Fachkräfte und sorgt für die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Gleichzeitig sinkt jedoch die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge ebenso wie die Zahl der Ausbildungsstellen und der Ausbildungsbetriebe, während die Zahl der nicht besetzen Ausbildungsplätze steigt. Junge Liberale wollen deshalb Hürden für junge Menschen vor, in und nach der Berufsausbildung abbauen, die Ausbildung wieder – unabhängig vom Schulabschluss – attraktiver machen und damit den Einstieg zum Aufstieg ermöglichen.
Dafür setzen wir uns ein:

Einstieg erleichtern.

  • Berufsschulen sollen genau wie Universitäten verschiedene Modelle für die Schulgebühr anbieten. Darunter soll es für Berufsschüler auch immer die Möglichkeit zu nachgelagerten Schulgebühren geben. Wir wollen weiterhin eine enge Kooperation zwischen Betrieb und Berufsschule gewährleisten. Wir wollen eine ausbildungsplatznahe Beschulung, damit auch Ausbildungsplätze in kleineren Betrieben erhalten werden können und die Fahrtwege für die Auszubildenden keine unüberwindbare Hürde darstellen. Sind Ausbildungsplatz-nahe Schulen nicht möglich, setzen wir vermehrt auf die Digitalisierung und E-Learning-Möglichkeiten.
  • Analog zur allgemeinen Studierendenvertretung soll eine allgemeine Auszubildendenvertretung die Möglichkeit bekommen, Auszubildenden Wohnheime und ÖPNV-Tickets anzubieten. Hierfür setzen wir vor allem auf Selbstorganisation und Eigeninitiative der Auszubildenden. Auch Kooperationen mit Studierendenvertretungen begrüßen wir ausdrücklich. Hierzu böte sich unter anderem der Umbau von ehemaligen Kasernen und anderen stillgelegten Objekten zu Wohneinrichtungen an. Ferner wollen wir ein System für ein bezahlbares Nahverkehrsticket für Auszubildende schaffen.
  • Auszubildende, die aus finanziell schwierigen Verhältnissen kommen, brauchen eine gesicherte finanzielle Grundlage. Deshalb müssen das Schüler-BAföG und die Berufsausbildungsbeihilfe erhöht und zukünftig an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst werden.
  • Viele kleine und mittlere Unternehmen können heute die Anforderungen der Ausbildungsordnungen nicht komplett erfüllen. Hierbei wollen wir auch das Zusammenwirken kleinerer Betriebe mit dem Ziel der Ausbildungskooperation fördern – insbesondere im ländlichen Raum. Die Organisation der Berufsausbildung in Form eines Baukastensystems soll es ermöglichen, dass auch kleinere Unternehmen Berufsausbildung anbieten können.
  • Der Übergang von Schule und Beruf muss verbessert werden. Wir wollen, dass die Schule junge Menschen auch verstärkt auf die Herausforderungen des Lebens und des Arbeitsmarktes vorbereitet. Hierzu sollten Jugendliche so früh wie möglich an praxisorientiertem Unterricht in der Schule und an Praktika in Betrieben teilnehmen. Diese Programme sollen fester Bestandteil des Lehrauftrages jeder Schulform sein, um die Berufswahl zu erleichtern. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns nicht dazu führt, dass Jugendliche auf eine Berufsausbildung verzichten, um stattdessen einer Vollzeitbeschäftigung ohne Berufsausbildung nachzugehen.

Jugendliche mitnehmen.

  • Wir wollen das Prinzip „kein Abschluss ohne Anschluss“ verwirklichen. Hierzu ist es erforderlich, möglichst alle Jugendliche zu einem Schulabschluss und zu einer Ausbildungsreife zu führen – in gemeinsamer Arbeit mit dem Elternhaus, dem schulischen Umfeld und der Sozialarbeit. Jugendliche mit Haupt- und mittlerem Schulabschluss schaffen zudem immer seltener nahtlos der Sprung von der Schule in die Ausbildung. Wir wollen insbesondere für diese jungen Menschen Lebenschancen und Perspektiven schaffen – mit lokalen Netzwerken aus Schulen, Eltern, Wirtschaft, Industrie- und Handelskammer, Kommunen und Vereinen, da insbesondere auch persönliche Netzwerke eine Plattform zur Ausbildungsvermittlung bieten – und die Ausbildungseignung der Jugendlichen verbessern können.
  • Wir wollen Jugendliche und Betriebe bei der Berufsausbildung unterstützen und eine Modularisierung der Ausbildung in bestimmten Ausbildungsberufen anstreben, die auch für leistungsschwächere Jugendliche eine Teilqualifizierung auf Basis der vorhandenen und verstärkt zu fördernden Ressourcen bietet. So wäre es zum Beispiel möglich, die Ausbildung mit weiterführenden Modulen zu einem späteren Zeitpunkt, nach einer längeren Phase der Berufstätigkeit, fortzusetzen. Wir wollen ferner innerbetriebliche Hilfs- und Unterstützungsangebote, auch mit sozialpädagogischem Hintergrund, sowie Modelle der assistierten Ausbildung ausbauen, um vorzeitigen Ausbildungsabbrüchen entgegenzutreten.
  • Die Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen mit schwierigem sozialen Umfeld und von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist weiterhin unterdurchschnittlich. Wir wollen die Ausbildungsbeteiligung insgesamt, aber insbesondere für diese Gruppe erhöhen. Hierzu ist es wichtig, lokale Netzwerke aus Arbeitsagenturen, Geschäftsführern mit Migrationshintergrund, Integrationslotsen, Ausbildungsberatern, Industrie- und Handelskammer, Vereinen sowie Kommunen zu initiieren.
  • Wir begrüßen die umfassenden Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, die die berufsbildenden Schulen bieten. Hier werden Schulabschlüsse auf allen Qualifikationsebenen erworben bzw. nachgeholt und die fachgebundene oder allgemeine Hochschulreife mit besonderem Qualifikationsprofil erlangt. In den berufsbildenden Schulen werden Fachkräfte für verschiedene Wirtschaftsbereiche und nicht zuletzt für Pflege und Erziehung auch in Vollzeit ausgebildet. Vielfach gelingt es, Schülerinnen und Schülern, die das allgemein bildende Schulwesen ohne Abschluss verlassen haben, durch intensive Betreuung und Praxisbezug zu neuem Erfolg und Selbstvertrauen zu verhelfen. Eine einheitliche Festlegung der Wochenstunden des berufsbezogenen Unterrichtes lehnen wir für das Berufsschulwesen ab.

Für eine moderne berufliche Bildung.

  • Wir wollen ein attraktives Ausbildungssystem – auch für leistungsstärkere Schüler und Abiturienten. Hierzu braucht es attraktive Arbeitsbedingungen, flexible und familienfreundliche Arbeitszeiten, geldwerte Vorteile, Ausbildungsverbünde mit mehreren Unternehmen, eine angemessene Vergütung und verlässliche Aufstiegschancen. Diese Ausbildungsbedingungen sollten nicht nur von privaten Unternehmen, sondern auch vom Staat garantiert werden. Eine Verbeamtung sollte nur noch bei der Wahrnehmung hoheitlicher Tätigkeiten (Steuer, Justiz, Polizei usw.) erfolgen. Zudem muss die Durchlässigkeit in der Beamtenlaufbahn (insbesondere zwischen gehobenem und höheren Dienst) und bei den Entgeltgruppen des öffentlichen Dienstes erhöht werden.
  • Die einheitliche gesetzgeberische Festlegung für eine Mindestausbildungsdauer lehnen wir ab. Ob zwei, drei, vier oder fünf Jahre – die Ausbildungsdauer muss von den Ausbildungsinhalten sowie den Anforderungen der Unternehmen in den unterschiedlichen Branchen abhängen. Zudem wollen wir keine weitere Akademisierung von Ausbildungsberufen. In vielen Bereichen, wie zum Beispiel in Gesundheits- und Pflegeberufen, ist es nicht erforderlich, neue Zugangsvoraussetzungen zu schaffen. Auch im Hinblick auf die anerkannten Ausbildungsberufe muss es eine Erweiterung für derzeit nicht anerkannte Ausbildungsberufe geben, sofern eine Ausbildung hier Sinn machen sollte. Durch die Deregulierung werden mehr Anreize für Betriebe geboten, sodass diese mehr Ausbildungsplätze anbieten können.
  • Wir wollen einen massiven Ausbau von Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen sowie einen Rechtsanspruch auf kostenlose Kinderbetreuung ab dem Ende des Mutterschutzes. Wir wollen eine Weiterentwicklung der Angebote von Kindertagesstätten und eine Stärkung von Betriebskindergärten, sodass eine größtmögliche Nähe zwischen Kind und Eltern geschaffen werden kann. Ein familienfreundliches Arbeitsumfeld ist sowohl für Auszubildende mit Kindern, als auch für junge Fachkräfte wichtig.
  • Wir wollen, dass noch mehr duale Studienplätze zur Verfügung gestellt werden – insbesondere über den technischen und wirtschaftlichen Bereich hinaus. Das duale Studium, also die Verknüpfung aus einem Studium und einer praktischen Ausbildung, ist ein großer Gewinn für die Betriebe – und eine gute Möglichkeit für einen qualifizierten Berufseinstieg. Hierbei ist es wichtig, die Ausbildungszeit nicht in einem zu kurzen zeitlichen Fenster zu veranschlagen und den dualen Studenten auch eine Perspektive auf einen Master-Abschluss zu ermöglichen.
  • Branchenfonds oder Ausbildungsumlagen lösen keine Probleme auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Vielmehr müssen freiwillige Ausbildungspakte mit Politik, Unternehmen, Verbänden und Gewerkschaften geschlossen werden. Damit werden die Unternehmen nicht aus der Ausbildungsverantwortung entlassen, aber erhalten gleichzeitig die notwendige unternehmerische Freiheit bei der betriebsinternen Personalstruktur.

Perspektiven zum Aufstieg.

  • Wir wollen berufliche Weiterbildungsmaßnahmen, die mit ihrem eigenständigen Profil eine gleichwertige, praxisorientierte Alternative zu einem Hochschulstudium bieten – und konkrete Karriereperspektiven eröffnen. Darüber hinaus muss Auszubildenden auch der parallele Erwerb einer Hochschulreife ermöglicht werden. Die Studienfinanzierung, die Weiterbildung und das Nachholen schulischer und beruflicher Abschlüsse sollen in einem Gesetz zusammengeführt werden – und damit den Einstieg in ein lebenslanges Lernen sichern.
  • Die Mittel für Stipendienprogramme müssen erhöht werden. Die Angebote müssen dabei nicht nur für Studium und Promotion, sondern auch für Weiterbildungen ausgeweitet werden. Das Begabtenförderungswerk berufliche Bildung soll daher besser ausgestattet und die Förderungsstrukturen für private Stiftungen attraktiver gemacht werden.
  • Wir wollen, dass Menschen, die eine dafür angemessene Zeit lang in einem Betrieb ohne Berufsausbildung gearbeitet haben, einen Ausbildungsabschluss in einem verkürzten, teilweise berufsbegleitenden Modell erlangen können. Es ist nicht einzusehen, warum Arbeitnehmer, die eine angemessene Zeit in ihrem Beruf gearbeitet haben und damit praktisch ihren Beruf ausüben, deutlich schlechter gestellt werden sollen.
  • Wir wollen eine deutlich verbesserte Anerkennung internationaler Universitäts- und Ausbildungsabschlüsse. Wir wollen die sogenannte „formale Teilanerkennung“, wonach beispielsweise ein Ingenieur aus einem Nicht-EU-Staat zumindest als Fachtechniker in der Europäischen Union arbeiten kann, als wichtigen Zwischenschritt für eine migrationsfreundlichere Politik. Hierbei sollte den Unternehmen, die Zuwanderer einstellen möchten, auch eine größere Entscheidungskompetenz gesetzgeberisch übertragen werden.
  • Wir wollen konkrete Perspektiven für Studienabbrecher. Hierzu zählt eine umfassende Anerkennung von Prüfungsleistungen für den Übergang in das Ausbildungssystem, Gründungsberatung, die Möglichkeit einen schnellen berufsqualifizierenden Abschluss zu erwerben und Varianten zum Umstieg in ein duales Studiensystem.
  • Wir wollen den Ausbildungsmarkt in Europa vernetzen. So müssen Programme, bei denen freie Ausbildungsplätze mit motivierten Jugendlichen aus europäischen Ländern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit besetzt werden, ausgebaut werden. Wir brauchen gemeinsame europäische Standards und analog zum Bologna-Prozess einen flexiblen europäischen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, der die Mobilität in der Europäischen Union erhöht – und damit den Dialog von jungen Europäern stärkt.
  • Wir fordern für Flüchtlinge die Möglichkeit schnellst möglich eine Arbeit aufnehmen zu können. Die hierfür erforderliche Arbeitserlaubnis soll auch nach dem Erhalt eines Jobangebots unkompliziert online erfragt werden können. Das Aufnehmen einer Arbeit soll grundsätzlich möglich sein, sobald ein Flüchtling registriert wurde und sein Asylantrag gestellt wurde. Eine Vorrangprüfung soll entfallen.

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