Interview mit Franziska Brandmann im Spiegel: »Ich dachte: Das kann jetzt nicht sein Ernst sein«

Foto: © Dominik Ansbach

SPIEGEL: Kaum ist Christian Lindner nicht mehr
Spitzenkandidat, rutscht die FDP auf 5,9 Prozent. Ist das die
Erkenntnis aus dem desaströsen Wahlergebnis in Nordrhein-
Westfalen?


Brandmann: Natürlich macht es einen Unterschied, ob man
den Bundesvorsitzenden als Spitzenkandidat in einem
Bundesland hat. Er ist bekannter als unser Landesvorsitzender
Joachim Stamp. Ich halte das aber nicht für ausschlaggebend
für das Ergebnis. Die Probleme lagen tiefer.


SPIEGEL: In Schleswig-Holstein war es wie in NRW: Wolfgang
Kubicki weg, schon bricht die FDP ein. Braucht die Partei mehr
Charakterköpfe wie Ihren Partei-Vize Kubicki?


Brandmann: Als Jürgen Klopp Dortmund verlassen hat, haben
alle nach einem neuen Klopp gesucht und fanden Thomas
Tuchel als neuen Trainer. Viele waren enttäuscht, dabei ist
Tuchel ein guter Trainer, er war nur eben kein neuer Klopp.
Statt nach dem nächsten Klopp Ausschau zu halten, muss man
den Verein in den Fokus rücken. Für uns heißt das: Die Partei
muss in den Mittelpunkt, nicht die Suche nach neuen Kubickis
oder Lindners. Wir müssen das inhaltliche Profil der FDP
stärken, damit die Menschen wissen, wofür die FDP steht.


SPIEGEL: Der Kanzler macht sich Hoffnungen, dass am Ende
doch eine Ampelkoalition NRW regieren könnte. Würden Sie
Ihrem Landesverband raten, dafür zur Verfügung zu stehen?
Brandmann: Auf keinen Fall. Die FDP ist deutlicher
Wahlverlierer. Zudem haben SPD und Grüne einen Wahlkampf
gegen die schwarz-gelbe Koalition geführt. Sie wollten eine rot-
grüne Mehrheit erreichen und sind gescheitert. Und dafür
sollen wir jetzt als Mehrheitsbeschaffer zur Verfügung stehen?
Das wäre skurril.


SPIEGEL: Die beliebtesten Politiker bundesweit sind die
grünen Kabinettsmitglieder Robert Habeck und Annalena
Baerbock. Kann die FDP von deren Kommunikation irgendwas
lernen?


Brandmann: Auf jeden Fall. Beide zeigen, dass man sehr
modern und unprätentiös kommunizieren kann – und dies gut
ankommt. Moderne Kommunikation bemisst sich heute daran,
ob man Bürgerinnen und Bürger mitnehmen und ihnen
Regierungshandeln erklären kann. Da müssen wir besser
werden.SPIEGEL: Bei den Landtagswahlen erzielte die FDP in der
Altersgruppe ab 60 nur drei Prozent Zustimmung. Ist die FDP
zu hip?


Brandmann: Es haben uns nicht nur zu wenig Ältere gewählt,
sondern auch nur vier Prozent der Frauen – und die machen
die Hälfte der Bevölkerung aus. Wir haben in allen
Wählergruppen verloren. Es wäre ein Fehler, zu sagen: Ab jetzt
tritt die FDP nicht mehr modern auf – als würden sich Wähler
ab 60 keine zeitgemäßen Kampagnen wünschen.


SPIEGEL: Ihr Parteichef sagte, Rentner hätten sich vor allem
darüber beklagt, bei der Energiepauschale von 300 Euro nicht
berücksichtigt worden zu sein.


Brandmann: Auch Studierende, die kein Bafög bekommen,
erhalten diese Pauschale nicht. Ich selbst wurde im
Landtagswahlkampf nicht auf die Energiepauschale
angesprochen.


SPIEGEL: Der bayerische FDP-Landesvorsitzende Martin
Hagen hat nach der NRW-Wahl gefordert, es brauche ein
klareres wirtschaftspolitisches Profil. Stimmen Sie ihm zu?


Brandmann: Die FDP steht für marktwirtschaftliche Freiheit
und gesellschaftliche Modernisierung. Das ist kein Entweder-
oder, beides macht uns aus und hat uns noch vor wenigen
Monaten ein gutes Ergebnis bei der Bundestagswahl beschert.
Wir täten uns keinen Gefallen, das jetzt über Bord zu werfen
und uns inhaltlich zu verengen.


SPIEGEL: Lindner hat als Bundesfinanzminister den
Tankrabatt durchgesetzt. Wie passt das mit dem Anspruch der
FDP nach Subventionsabbau zusammen?


Brandmann: In der Ausnahmesituation des Ukraine-Kriegs
hat er versucht, die Bürgerinnen und Bürger durch einen
zeitlich befristeten Rabatt zu entlasten. Aber staatliche Rabatte
können keine Dauerlösung sein. Wir können nicht langfristig in
den Preismechanismus eingreifen. Wenn die Bundesregierung
entlasten will – und das sollte sie unbedingt –, kann sie
jederzeit bei der Strom- und Energiesteuer ansetzen.


SPIEGEL: Lindner will 2023 zurück zur Schuldenbremse,
einem Kernversprechen der FDP. Wenn das nicht gelingt,
würden Sie dann einen Ausstieg der FDP aus der Ampel
befürworten?

Brandmann: Das müssen Sie mich 2023 fragen. Vor dem
Hintergrund des Kriegs habe ich gelernt, dass sich Dinge
schnell verändern können. Ich halte die Forderung, zur
Schuldenbremse zurückzukehren, nach wie vor für richtig. Das
ist eine Frage der Generationengerechtigkeit und keine aus der
Zeit gefallene, heilige Kuh der FDP, wie uns manche
weismachen wollen.


SPIEGEL: In der Corona-Politik war Kubicki die Stimme der
FDP, in der Außenpolitik ist es Marie-Agnes Strack-
Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses,
die ziemlich stramm auftritt. Sollte sie ein Vorbild für andere
Spitzenliberale sein?


Brandmann: Das Coole an ihr ist, dass sie sich nicht verstellt.
Sie sagt offen, was sie denkt, ganz unprätentiös. Ich glaube,
davon brauchen wir mehr.


SPIEGEL: Sie haben auf dem Parteitag Ende April die
Kommunikation des Kanzlers in diesem Krieg kritisiert. Sind
Sie immer noch unzufrieden?


Brandmann: Der Bundeskanzler vertritt insgesamt den Kurs
der Bundesregierung. Aber mit seiner betont defensiven Art
der Kommunikation stößt er manchen vor den Kopf, die sich
mehr Unterstützung für die Ukraine wünschen. Dazu zähle ich
auch mich. Nehmen Sie seine Bemerkung, er werde die Ukraine
nicht einfach nur für einen Fototermin besuchen. Damit tut er
jenen Unrecht, die in die Ukraine gereist sind, um sich ein Bild
von der Lage vor Ort zu machen. Das fand ich unangemessen.
Der Bundeskanzler setzt zudem auch anderswo auf Symbolik,
daher würde ich mir gegenüber der Ukraine ebenfalls ein
starkes Signal von ihm wünschen.


SPIEGEL: FDP-Chef Lindner hat die Kommunikation des
Kanzler vorsichtig als »verdruckst« bezeichnet. Wären klarere
Worte Ihres Parteichefs angemessen?

Brandmann: Jeder hat seine Rolle. Die FDP ist jetzt
Koalitionspartnerin in einer Bundesregierung und als solche
steht sie hinter dem Bundeskanzler. Natürlich müssen sich
gerade unsere Kabinettsmitglieder kollegial verhalten. Von
unkollegialem Verhalten innerhalb der Bundesregierung haben
wir in der Zeit der Großen Koalition genug erlebt. Die FDP ist
aber nicht nur eine Regierungspartei, sie ist auch eine Partei.
Und in der Partei nehme ich sehr viel Kritik an der
Kommunikation des Bundeskanzlers wahr. Als er
Ausschussvorsitzende des Bundestages, die schwere Waffen
für die Ukraine forderten, abfällig als „Jungs und Mädels“
bezeichnet hat, dachte ich: Das kann jetzt nicht sein Ernst sein.
Christian Lindner mag das kollegial als „verdruckst“
bezeichnen. Ich sage: Das geht gar nicht!


SPIEGEL: Kürzlich zogen vier FDP-Mitglieder aus dem
Verteidigungsausschuss aus, weil sie die Antworten des
Kanzlers in der Sitzung als ausweichend empfanden. Der FDP-
Obmann Marcus Faber ist nun zurückgetreten, er wurde dazu
regelrecht gedrängt. Finden Sie das richtig?

Brandmann: Ich bin nicht Mitglied der Fraktion, deshalb kann
ich das im Detail nicht bewerten. Grundsätzlich finde ich es in
Ordnung, dass man als gewählter Abgeordneter im Deutschen
Bundestag seine Meinung klar kommuniziert – auch in
Richtung des Bundeskanzlers. Die Art und Weise mag Stilfrage
sein, aber aus meiner Sicht war das Verhalten der FDP-
Abgeordneten keine Majestätsbeleidigung.