JuLis in der NZZ: „Die Jugend, das sind wir.“

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Auf ihrem Bundeskongress in Erlangen versuchen die Jungen Liberalen das Bild ihrer Generation neu zu zeichnen. Witze gehen auf Kosten der Union, und die neue Vorsitzende Franziska Brandmann stimmt die Mutterpartei FDP auf ungemütliche Zeiten ein.

Manchmal ist in der Politik die Schwäche des Gegners der Grund für die eigene Stärke. Auf dem Bundeskongress der Jungen Liberalen (kurz JuLis) am Wochenende in Erlangen war es ausgerechnet der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, der vor Augen führte, warum die FDP bei der Bundestagswahl unter den Erstwählern stärkste Kraft wurde, und nicht die CDU wie noch 2017. In einer Videogrussbotschaft, die auf dem Kongress gezeigt wurde, sah man Kuban verpixelt und schlecht ausgeleuchtet vor langweiliger Wohnzimmerkulisse stehend. Die Häme war ihm anschliessend sicher: «Ein visuelles Meisterwerk», spottete ein Jungliberaler, «das mit dem Videoaufnehmen muss er noch ein bisschen lernen.» Früher gingen die Witze hier auf Kosten der Grünen, nun geht es gegen den einstigen Verbündeten. Auch das ist neue politische Realität.

Seit der Bundestagswahl können die Jungen in der FDP vor Selbstbewusstsein kaum mehr laufen. Die JuLis verstehen sich als jene Kraft, welche die Themen der Jugend verstanden hat: Digitalisierung, Bildung, persönliche Freiheiten. 23 Prozent der Erstwähler haben im September für die FDP gestimmt. Damit lag sie gleichauf mit den Grünen. Doch was bei der Ökopartei kaum überraschte, sorgte im Falle der Liberalen für Wirbel. Warum hat sich die Jugend ausgerechnet für die FDP entschieden, fragten politische Beobachter reihenweise.

So viele Teilnehmer wie noch nie

Eines der Anliegen der Jungen Liberalen auf dem Bundeskongress war es daher, das aus ihrer Sicht verzerrte Bild der Jugend zu korrigieren. Dass die junge Generation freiheitlich denke, sei nicht neu, hiess es in vielen Reden. Hingegen sei es ein falsches Vorurteil, dass die Jungen ausschliesslich links-grün wählten.

Auch personell haben sich die JuLis in Erlangen neu aufgestellt. Der bisherige Vorsitzende Jens Teutrine trat nicht mehr an. Er war im September in den Bundestag eingezogen und ist Teil der Delegation, die derzeit den Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen verhandelt. Am Samstag wählten die Delegierten Franziska Brandmann mit grosser Mehrheit an die Spitze.

Bisweilen machten die Jungen Liberalen am Wochenende den Eindruck, als könnten sie ihre neue Stärke selbst noch gar nicht fassen. Zu dem Kongress in der Heinrich-Lades-Halle waren so viele gekommen wie noch nie. Mit 900 Anmeldungen sei dies der grösste Bundeskongress in der Geschichte der Jugendorganisation, «einfach geil», rief Teutrine der Menge zu. Innerhalb eines Jahres sei der Verein um 4000 Mitglieder auf nun knapp 14 000 angewachsen. 13 JuLi-Mitglieder seien in der FDP-Bundestagsfraktion.

«Wir brechen mit allen Klischees»

Einer von ihnen ist Teutrine selbst. Bevor er als Vorsitzender abtritt, formulierte er in seiner Rede am Samstag einen neuen Machtanspruch der Jugendorganisation. Der Wahlerfolg der FDP sei ohne die JuLis nicht möglich gewesen. So selbstbewusst hat man die Jugend in der FDP lange nicht mehr erlebt. Vielen im Saal steckte noch der elendige Satz des FDP-Chefs Christian Lindner in den Knochen. Der hatte behauptet, Klimaschutz sei «was für Profis».

Teutrine hingegen forderte in seiner Rede, dass die Stimme der Jugend künftig mehr Gehör finden müsse, etwa durch das Absenken des Wahlalters auf 16 Jahre. Auch das Bild seiner Generation müsse zurechtgerückt werden. «Wir brechen mit allen Klischees.» Seine Generation bestehe nicht nur aus Fridays for Future. Für junge Menschen in Brandenburg sei das erste Auto ein Freiheitssymbol. Dafür gab es viel Applaus. Es gebe Hunderte weitere Mitglieder, die eine ähnliche Lebensrealität hätten wie er selbst, rief Teutrine seinen Anhängern zu.

Teutrine zielt damit auf seine Biografie ab, die ihn von der Förderschule bis in den Bundestag geführt hat. So nämlich, als Partei der Aufsteiger, als die Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Partei sehen die JuLis ihre FDP am liebsten. Teutrine, Typ T-Shirt und Jeans, der Bekannte mit Ghetto-Faust begrüsst, in Shisha-Bars abhängt und Deutsch-Rap hört, sieht sich als Beweis dafür, dass die Aufsteigersymbolik nicht bloss blutleere Theorie ist.

Hemden, Pullunder und Slim-Fit-Anzüge sieht man häufig

Stimmt das Vorurteil von der Apotheker-Partei, der Partei der Reichen und Besserverdiener, der Stehkragen- und Anzugträger also gar nicht mehr? Um kurz bei den Äusserlichkeiten zu bleiben: Hemden, Pullunder und Slim-Fit-Anzüge sah man bei dem Kongress noch immer häufig. Aber da waren auch Parteimitglieder wie der 21-jährige Student Aria Ghafori (der übrigens auch Anzug trug). Seine Eltern waren in den 1980er Jahren aus Iran nach Deutschland gekommen. Um die Familie zu ernähren, nahm die Mutter jeden Job an, den sie bekommen konnte. Später studierte der Vater Maschinenbau. «Die FDP spricht viele aus der Mittelklasse an, das haben wir Christian Lindner zu verdanken», sagt Ghafori. Die Jugend ticke liberal und wünsche sich eine progressive Politik ohne Steuererhöhungen oder die Abkehr von der Marktwirtschaft.

Andere Teilnehmer gingen mit ihrer Partei härter ins Gericht. «Wir wären gerne diverser. Wir brauchen mehr Frauen und mehr Handwerker in unseren Reihen», sagte das JuLi-Mitglied Tobias Kotzian, «aber da sind wir noch nicht.» Die Eltern des 20-jährigen Informatikstudenten zählen schon eher zur klassischen FDP-Klientel. Beide sind Akademiker, die Mutter hat sich selbständig gemacht.

Vor ein paar Monaten hat die FDP selbst untersuchen lassen, aus welchen Milieus die Fans der Partei stammen. Tatsächlich machen Selbständige nur 8 Prozent aus. Ein Drittel sind Akademiker wie Ärzte oder Anwälte. Mehr als ein Viertel sind junge Städter mit hohem Bildungsniveau und Auslandserfahrung. Weitere 20 Prozent machen in den Worten der FDP die «aufstrebenden Fachkräfte» aus. Das sind meist junge Männer, die Markenklamotten tragen, schnelle Autos fahren und das schnelle Geld wollen. Es ist die neue Trade-Republic- (Online-Broker) und Twitch-Generation (Online-Videospiele-Plattform), die sich Steuersenkungen und eine freie Fahrt auf der Autobahn wünscht.

«Wir werden der FDP auf die Finger schauen»

Es liegt nun an der neuen Spitze der JuLis, die Anliegen der Jungen in der Mutterpartei und in einer «Ampel»-Regierung durchzusetzen. Die 27-jährige Brandmann ist im nordrhein-westfälischen Grevenbroich aufgewachsen und ist seit zwölf Jahren bei den JuLis aktiv. Derzeit promoviert sie an der Universität in Oxford. «Wir müssen demütig bleiben», mahnte sie in ihrer Bewerbungsrede. Die Stimmen der Erstwähler seien ein Vertrauensvorschuss. Nun müsse es einen Unterschied machen, dass Liberale mitregieren. «Wir werden der FDP auf die Finger schauen.»

In einer Regierung mit Grünen und SPD sei es ihr Job, auf die Einhaltung der freien Marktwirtschaft zu pochen, sagte Brandmann. Wichtige politische Ziele seien die Chancengerechtigkeit in der Bildung und ein elternunabhängiges Bafög. Der öffentlichrechtliche Rundfunk müsse «seine Grenzen kennen», der Einstieg in die kapitalgedeckte Rente solle gelingen, Cannabis legalisiert und die Schuldenbremse eingehalten werden.

Einiges davon steht schon im Sondierungspapier. Inwiefern die Forderungen in den Koalitionsvertrag einfliessen, steht in ein paar Wochen fest. Und damit wohl auch, ob sich die neue FDP-Klientel gleich wieder enttäuscht abwenden wird. Die Jungen seien eine sehr «volatile» Wählergruppe, erklärt Teutrine. «Klar, wir wollen die zu Stammwählern machen.» Ob es gelingt, wird sich schon im kommenden Frühjahr zeigen, dann stehen die nächsten Wahlen an, zuerst im Saarland, später in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.