Franziska Brandmann in der WELT: „Für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der seine Grenzen kennt“

Unsere neue Vorsitzende Franziska Brandmann macht im Interview mit der WELT einen Rundumschlag an JuLi-Themen: Unsere Einstellungen zu Steuern, dem Öffentlich-Rechtlichem Rundfunk und das Verhältnis zwischen Staat und Individuum. Das ganze Interview findest Du hier.

Franziska Brandmann ist die neue Vorsitzende der Jungen Liberalen. Im Interview stellt sie ihre grundsätzlichen Positionen vor – ob zur Frauenquote, Steuerpolitik oder ARD und ZDF. Und sie stellt klar: Viele junge Menschen sehnten sich nach mehr Mündigkeit und Marktwirtschaft.

Die Jungen Liberalen haben eine neue Führung: Auf dem 63. Bundeskongress wurde Franziska Brandmann zur neuen Vorsitzenden gewählt. Sie löst damit Jens Teutrine ab, der nun Mitglied des Bundestages ist. Brandmann wurde 1994 in Münster geboren und wuchs in Grevenbroich auf. Sie studierte Politikwissenschaft an der Universität Bonn und Europäische Politik an der Universität Oxford. Momentan promoviert sie dort zum Thema „Wehrhafte Demokratie“.

WELT: Frau Brandmann, sind Steuern Raub?

Franziska Brandmann: Nein. Steuern sind notwendig, um das Funktionieren des Staates zu ermöglichen – also um seine Aufgaben zu finanzieren. Allerdings werden Steuern heute immer öfter auch genutzt, um moralische Sichtweisen widerzuspiegeln und Bürger zu erziehen – Stichwort Lenkungssteuern.

Wir haben eine Alkopop-Steuer, eine Kaffeesteuer und eine Schaumweinsteuer. Heute sind Steuern also mehr, als sie eigentlich sein sollten. Daher müssen einige Steuern hinterfragt und Steuern insgesamt wieder auf ein vertretbares Maß zurückgefahren werden.

WELT: Ein Thema, das in den laufenden Koalitionsverhandlungen zumindest öffentlich bislang kaum zur Sprache kam, ist die Quote. Und zwar nicht nur für Frauen, sondern auch für Migranten – so jedenfalls wünschen es sich SPD und Grüne laut ihrem Wahlprogramm. Kann es sich die FDP leisten, in diesen Punkten einzuknicken?

Brandmann: Es geht gar nicht darum, ob sie es sich leisten kann, sondern um die Frage: Sollte sie? Glauben wir an Wettbewerb oder an Quoten? Ich als Liberale lehne Quoten ab. Stattdessen müssen wir uns fragen, wie wir Wettbewerb so attraktiv gestalten, dass sowohl Migranten als auch Frauen ein größeres Interesse haben, zu kandidieren.Anzeige

WELT: Quoten-Befürworter wie etwa der ARD-Journalist Georg Restle hatten sofort nach der Bundestagswahl die Zahlen parat: Der Frauenanteil in der FDP-Fraktion betrage nur 24 Prozent. Was würden Sie ihm entgegnen?

Brandmann: Was sagt diese Zahl denn über die Qualität der Fraktion aus? Nichts. Ein liberaler, männlicher Politiker repräsentiert meine Anliegen besser als eine konservative, weibliche Abgeordnete. Als ich angefangen habe, mich politisch zu engagieren, habe ich nicht nach einer Partei gesucht, die mein Geschlecht vertritt, sondern nach einer Partei, die meine Haltung vertritt.

WELT: Was bedeutet Individualismus für Sie? Und welchen Stellenwert hat er momentan in unserer Gesellschaft?

Brandmann: Die Rolle des Individuums kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Meine Mutter ist in der DDR aufgewachsen. Das hat mich schon als Kind geprägt – zu hören, wie das war, in einem Staat, in dem das Individuum immer hintangestellt wurde. Bei Individualismus geht es nicht um Egoismus.

Oft ist davon die Rede, dass Liberale nur wollen, dass jeder machen kann, was er will, und dass sich Liberale sonst um nichts scheren. Das ist Quatsch. Ich schere mich um sehr viel. Gerade deshalb möchte ich, dass jeder Bürger individuelle Entscheidungen treffen kann.

WELT: Wie sehr freut es Sie, dass es in Deutschland – zumindest in der nächsten Zeit – kein Tempolimit geben wird?

Brandmann: Sehr! Wer das Tempolimit als unwichtig belächelt, der steht nicht auf dem Boden der Realität. Für viele wäre ein Tempolimit eine Einschränkung gewesen, die sie jeden Tag gefühlt hätten. Da stellt sich die Frage: Ist das verhältnismäßig? Ist die Freiheitseinschränkung angemessen gegenüber dem, was damit gewonnen werden kann?

Und die Argumente der Befürworter – sowohl hinsichtlich der Verkehrssicherheit als auch hinsichtlich des Einflusses auf den Klimawandel – überzeugen mich nicht. Deshalb bin ich froh, dass die Freiheit hier Vorfahrt hat.

WELT: Schon im Sondierungspapier konnte die FDP liberale Pflöcke einschlagen. Keine Steuererhöhungen, kein weiteres Aussetzen der Schuldenbremse und eben kein Tempolimit. Klingt zunächst mal nach: Das Schlimmste verhindern. In welchen Bereichen muss sich die FDP Ihrer Meinung nach nun aktiv durchsetzen, also eigene Pläne verwirklichen?

Brandmann: Mir ist wichtig, dass wir als Liberale auch Leuchtturmprojekte schaffen. Zum Beispiel eine BAföG-Reform, die diesen Namen verdient. Während der Corona-Pandemie sind viele Studenten in finanzielle Schwierigkeiten geraten, aber die Große Koalition hat das BAföG nicht geöffnet.Anzeige

Zudem sollte es längerfristig das Ziel sein, Steuern zu senken – gerne zunächst für kleine und mittlere Einkommen. Im Sondierungspapier ist auch vom Einstieg in die kapitalgedeckte Rente die Rede – das ist gut, aber da geht noch mehr.

WELT: Bisweilen wirkt das Jugendprogramm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – etwa das Online-Content-Netzwerk „Funk“ –, als würden junge Menschen eher grün und links als liberal ticken. Doch das Ergebnis der Bundestagswahl erzählt eine andere Geschichte. Sehen Sie darin ein Problem?

Brandmann: Viele hat das gute Ergebnis, das die FDP bei Jung- und Erstwählern erzielte, überrascht – uns Julis nicht, wir hatten schon während des Wahlkampfes enormen Zulauf. Ich sehe nicht nur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern allgemein, dass viele Journalisten sich die Jugend als einen einheitlichen Block vorgestellt haben, der nur eine Haltung vertritt.

Da hat man es sich zu einfach gemacht. Jetzt wächst das Interesse an den Jungen Liberalen, und das freut mich.

WELT: Warum haben so viele Jung- und Erstwähler die FDP gewählt?

Brandmann: Viele junge Menschen haben in der Corona-Pandemie zum ersten Mal wahrgenommen, wie wichtig Freiheit ist. Wir sind als eine Generation aufgewachsen, die nie etwas anderes erlebt hat. Jetzt wurde diese Freiheit zum ersten Mal beschränkt. Das haben wir mitgetragen, wir sind zu Hause geblieben, wir haben uns an die Regeln gehalten.

Und als Dank bekamen wir ein Video der Bundesregierung, in dem insinuiert wurde, andere Generationen hätten Krieg erlebt, während wir nur auf dem Sofa sitzen müssten. Viele junge Menschen haben gemerkt, dass ihre Interessen nicht ernst genommen wurden.

WELT: Las man etwa im Wahlprogramm der FDP von 2017 noch, dass der Rundfunkbeitrag mittelfristig bis auf die Hälfte reduziert werden solle, klingt die Neufassung dieses Punktes eher ängstlich: Zwar wird weiterhin eine Verschlankung der Öffentlich-Rechtlichen gefordert, aber von der Reduktion um die Hälfte ist nicht mehr die Rede. Wie stehen die Julis dazu?Anzeige

Brandmann: Wir Julis sind nicht ängstlich. Wir sind nicht gegen einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der seine Grenzen kennt; der informiert und politische Bildung zeigt, statt Telenovelas zu produzieren. Das kann er dann eben auch in einem viel geringeren finanziellen Umfang.

WELT: Als neue Juli-Vorsitzende lösen Sie Jens Teutrine ab, der nun Bundestagsabgeordneter ist. Sein Thema war insbesondere der soziale Aufstieg. Was ist Ihres?

Brandmann: Bildung, Freiheit mündiger Bürger, Marktwirtschaft. Es gibt viele junge Menschen, die mitnichten vom Sozialismus träumen. Wenn Timon Dzienus, Chef der Grünen Jugend, auf deren Bundeskongress ruft, „Jetzt wird vergesellschaftet“, dann sage ich also: Wenn, dann wird hier vergemarktwirtschaftet.

WELT: Wie definieren Sie Mündigkeit?

Brandmann: Mündigkeit bedeutet für mich, dass Bürger frei und selbstbestimmt Entscheidungen treffen können, in die sich der Staat nicht einmischt, sofern sie der Freiheit anderer nicht schaden. Der Staat sollte sich nicht als Erzieher verstehen. Das ist nicht seine Aufgabe.