Offener Brief an den russischen Botschafter Sergej J. Netschajew: Ein gemeinsamer Appell zur derzeitigen Lage

Der Brief wurde am 23. April 2021 an den russischen Botschafter gesendet.

Seine Exzellenz, Herr Botschafter Netschajew,

Die Lage in Russland und in der Ostukraine beunruhigt uns sehr. Wir wenden uns an Sie mit der Bitte, Sorgen aus dem Ausland an Ihre Regierung heranzutragen und sich im Sinne der universalen Menschenrechte, der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und des Völkerrechts einzusetzen.

Mit Entsetzen haben wir die Haftbedingungen und den daraus resultierenden Gesundheitszustand von Aleksey Navalny zur Kenntnis genommen. In den letzten Monaten haben wir auf unterschiedlichen Kanälen auf das willkürliche Handeln des russischen Staates gegen Navalny aufmerksam gemacht und beispielsweise eine Solidaritätsaktion auf Instagram initiiert.

Unabhängig davon, wie man die Ziele von Aleksey Navalny bewerten mag, verletzt derartiger Umgang mit Oppositionellen Menschenrechtsstandarts, zu denen sich Russland als Mitglied des Europarates verpflichtet hat. Wir halten den Umgang mit Aleksey Navalny weder aus humanitären noch aus politischen Gründen für tragbar. Als Mitglied des Europarates, der die zweifelhafte Strafverfolgung von Aleksey Navalny mehrmals kritisiert hat, sollte Russland die entsprechenden Konsequenzen für das eigene Handeln ziehen und sich als Mitgliedsstaat an die rechtlich bindende EMRK halten. Wir appellieren an Sie: machen Sie sich dafür stark, dass ihm unverzüglich angemessene medizinische Versorgung zukommt. 

Auch der Umgang mit seinen Anhängern bereitet uns große Sorgen. Viele Mitarbeiter seiner Stiftung und seiner regionalen Vertretungen (die s.g. „Navalny-Stäbe“) wurden in der letzten Zeit verhaftet. Dass ernsthaft geprüft wird, ob seine regionalen Stäbe als extremistisch eingestuft werden könnten, besorgt uns ebenfalls sehr. Dass am 21. April bei den Protestaktionen seiner Anhänger fast 1800 Menschen in Russland festgenommen wurden, können wir nicht nachvollziehen. Russland bezeichnet sich in seiner Verfassung als eine Demokratie. Kritik an der Regierung, Versammlungsfreiheit und offene Debatte gehen mit diesem Status einher.

Die Nachricht, dass die Militärübungen an der ukrainischen Grenze und auf der annektierten Krim nun abgeschlossen sind und die russischen Truppen sich zurückziehen, werten wir als ein positives Signal. Der massive Truppenaufmarsch ohne vorheriger Bekanntgabe der geplanten Übungen und ohne Informationsaustausch wie im Wiener Dokument vorgesehen, hat aber nicht das Vertrauen in Russland als einen zuverlässigen Partner Europas gestärkt. Seit sieben Jahren unterstützt Russland Aufständische in der Ostukraine, besetzt die völkerrechtswidrig annektierte Krim und setzt seine Staatsmedien dazu ein, Desinformation in der Ukraine und in Europa zu verbreiten.       

Sehr geehrter Herr Botschafter Netschajew, wir wünschen uns ein gutes, vertrauliches Verhältnis zwischen der EU und Russland. Mit seinem Umgang mit friedlichen Demonstranten und prominenten Oppositionellen, mit seiner Unterstützung für die Rebellen in der Ostukraine und dem Destabilisieren dieses Landes, mit der aggressiven Rhetorik seiner Medien und zuletzt auch seines Präsidenten macht Russland dieses Ziel nahezu unerreichbar. Wir fordern Sie deshalb dazu auf, auf eine Deeskalation hinzuwirken und sich für die Einhaltung internationaler Abkommen und Menschenrechte einzusetzen. 

Jens Teutrine
Bundesvorsitzender Junge Liberale

Renata Alt
Mitglied des Bundestags (FDP)

Gyde Jensen
Mitglied des Bundestags (FDP)

Bijan Djir-Sarai MdB
Mitglied des Bundestags (FDP)

Moritz Körner
Mitglied des Europäischen Parlaments (FDP)

Svenja Hahn
Mitglied des Europäischen Parlaments (FDP)