TEUTRINE-Interview mit der WELT: „Eine Putzfrau will nicht bemitleidet werden“

Im Interview mit der WELT macht unser Bundesvorsitzender Jens deutlich, warum die FDP die Partei des sozialen Aufstiegs ist. Zudem gibt er einen Ausblick auf die inhaltlichen Schwerpunkte der Jungen Liberalen im kommenden Jahr bis zur Bundestagswahl. Du findest es im Original hier.

Die Fragen stellte Geli Tangermann.

Frage: Herr Teutrine, Ihre Mutter war alleinerziehend und ist zum Geldverdienen putzen gegangen. Warum haben Sie sich mit 16 die FDP als Partei ausgesucht?

Jens Teutrine: Mich haben die Werte der FDP überzeugt. Nicht die Herkunft, das Geschlecht, die Religion oder der soziale Hintergrund sollen über Chancen im Leben entscheiden, sondern Charakter, Leistung und Fleiß. Liberale trauen Menschen etwas zu: Wir wollen Flügelheber sein für die, die vorankommen, aufsteigen wollen und sich dafür anstrengen.

Anders als linke Parteien gönnen wir den Menschen dann aber auch, in den Urlaub zu fahren oder ein eigenes Auto zu kaufen, statt Neid und Missgunst zu säen. Dieses liberale Gerechtigkeitsverständnis war für mich Ansporn, selbst politisch aktiv zu werden.

Frage: Wie sind Sie aufgewachsen?

Jens Teutrine: Zusammen mit meiner alleinerziehenden Mutter und meiner Schwester waren wir eine kleine Familie. Meine Mutter war eine sehr liebende Mutter und hat immer darauf geachtet, dass es uns möglichst gut geht. Ich habe viele schöne Erinnerungen an meine Kindheit und war insgesamt zufrieden. Aber wir mussten natürlich auch auf Dinge verzichten und konnten uns nicht alles leisten.

Ich ging zunächst auf eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Sprache, weil ich unter einer Sprachbehinderung litt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mal auf politischen Bühnen sprechen würde, war damals sehr gering. Ich konnte meine Interessen nicht artikulieren, andere Kinder haben zum Teil nicht verstanden, was ich sagen wollte. Jetzt darf ich für einen ganzen Verband sprechen – für mich ist das eine ganz besondere Ehre.

Frage: Hätte Ihre Mutter damals die FDP gewählt?

Jens Teutrine: Da gilt das Wahlgeheimnis. Ich weiß auch gar nicht, was sie damals gewählt hat. Aber sie war von Guido Westerwelle als Generalsekretär begeistert. Am Ende war Politik aber nicht das größte Thema bei uns im Haushalt.

Frage: Warum sollte eine Frau, die ihr Geld mit dem Putzen verdient, FDP statt SPD wählen?

Jens Teutrine: Die Frage ist dabei, über welche SPD wir eigentlich reden. Reden wir noch über die SPD von früher? Die existiert nämlich nicht mehr. Olaf Scholz’ Kanzlerkandidatur dient nur als Feigenblatt und als Türöffner für Rot-Rot-Grün. In Wahrheit ist die SPD weit nach links gerückt.

Eine Putzfrau will nicht bemitleidet werden. Sie möchte, dass harte Arbeit und Fleiß belohnt werden. Sie will, dass ihre Kinder unabhängig vom sozialen Hintergrund faire Chancen haben, ihnen Türen offenstehen und sie etwas erreichen können. Sie glaubt daran, dass gute Bildung der Antrieb für sozialen Aufstieg sein muss. Die Putzfrau hat mit der FDP eine Verbündete.

Frage: Finden Sie, dass Parteichef Christian Lindner das Bild, das Sie hier von der FDP zeichnen, verkörpert?

Jens Teutrine: Absolut. Auf unserem Bundeskongress hat Christian Lindner erzählt, dass er Sozialwohnungsbau nicht nur aus dem Haushaltsplan kennt, sondern selbst darin gewohnt hat. Auch seine Mutter war alleinerziehend. Er hat in jungen Jahren aus eigenem Antrieb ein Unternehmen gegründet. Er ist auch mal gescheitert, ist dann aber wieder aufgestanden. Er verkörpert damit das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft.

Frage: Die Liberalen sind aktuell in einer misslichen Lage, die FDP schwächelt vor sich hin. Nicht die einfachste Situation, um Juli-Chef zu werden, oder?

Jens Teutrine: Wer es bequem haben will, meckert besser vom Sofa aus, anstatt sich selbst zu engagieren. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass wir als Wirtschaftsmotor, Digitalisierungsantreiber und Bildungsmodernisierer dringend gebraucht werden. Wir haben uns zum Teil mit Nebenkriegsschauplätzen beschäftigt.

Es ist wichtig, dass wir uns jetzt wieder auf unsere liberalen Kernbotschaften konzentrieren – und daran wollen wir Julis aktiv mitwirken. Wir wollen unsere liberalen Überzeugungen nach außen tragen. Wenn man zu seinen Überzeugungen steht, überzeugt das auch andere Menschen.

Frage: Wovon sind Sie überzeugt?

Jens Teutrine: Dass wir dringend das Aufstiegsversprechen unserer Gesellschaft erneuern müssen. Chancen hängen leider viel zu häufig noch vom sozialen Hintergrund ab. Armut wird noch viel zu häufig weitervererbt. Die Voraussetzungen für junge Menschen in diesem Land haben sich durch die Corona-Krise nicht gerade verbessert – ganz im Gegenteil.

Wir müssen als Julis Anwalt dieser Generation sein und ihre Interessen vertreten. Statt der x-ten Rentenerhöhung fordern wir endlich ein elternunabhängiges BAföG, eine generationengerechte Reform des Rentensystems, die Verdienstgrenze für Minijobs von 450 Euro zu erhöhen und das Wahlrecht auf 16 Jahre herabzusetzen.

Frage: Das Aufstiegsversprechen verschwand im Frühjahr wohl auch Corona-bedingt nach und nach von der Agenda der Liberalen. Wie muss es jetzt weitergehen mit dem Vorhaben „Aufstiegspartei FDP“?

Jens Teutrine: Wir müssen unsere Inhalte mit glaubwürdigen Köpfen verknüpfen. Ich denke, dass auch die Neuaufstellung der FDP einen Beitrag dazu leisten kann. Zum Beispiel wird Harald Christ ein Schatzmeister sein, der sich nach oben gearbeitet hat und heute erfolgreicher Unternehmer ist. Dass er aus der SPD zu uns gewechselt ist, ist ein Beispiel dafür, dass die Sozialdemokraten Aufsteiger nicht mehr abholen.

Mit Volker Wissing bekommt die Partei außerdem einen Generalsekretär, der viel Wirtschaftskompetenz mitbringt und Regierungsverantwortung in einer Ampelkoalition gesammelt hat. Es muss ein zentrales Ziel sein, dass wir uns personell möglichst breit und divers aufstellen.

Frage: Sie folgen als Juli-Chef auf Ria Schröder; Volker Wissing folgt auf Linda Teuteberg; der Frauenanteil in der FDP liegt bei 25 Prozent. Ist das divers?

Jens Teutrine: Ich habe eingangs meine Haltung betont: Nicht das Geschlecht, die Religion, die Herkunft oder der soziale Hintergrund sind für mich ausschlaggebend, sondern die Individualität des einzelnen Menschen sollte im Mittelpunkt stehen. Deshalb finde ich es weder Linda Teuteberg noch Ria Schröder gegenüber fair, ihre politische Arbeit allein auf ihr Geschlecht zu reduzieren.

Frage: Schröder hat in ihrer Abschiedsrede selbst betont, dass es nicht wieder 25 Jahre dauern dürfe, bis eine Frau an der Spitze der Julis steht. Sie war die erste Frau nach 25 Jahren auf diesem Posten.

Jens Teutrine: Ich möchte, dass alle Julis unabhängig vom Geschlecht dieselben Möglichkeiten und Bedingungen haben, sich politisch zu engagieren. Das ist aktuell leider nicht immer der Fall. Frauen haben es manchmal schwerer in der Politik. Man muss nur in die sozialen Netzwerke schauen und sieht, welchem Shitstorm sie sich ausgesetzt sehen.

Verkrustete Parteistrukturen treffen sie stärker, wenn es darum geht, Beruf, Arbeit und Familie zu vereinbaren. Das ist nicht fair, und wir werden uns damit weiter befassen. Trotzdem sollte nicht das Geschlecht das zentrale Merkmal sein, nach dem man Menschen bewertet.

Frage: Ihre Vorgängerin hat als Schwerpunkt die Teilprivatisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefordert. Bleibt diese Forderung mit Ihnen als Juli-Chef im Fokus?

Jens Teutrine: Ja, natürlich. Wir sehen weiterhin Reformbedarf. Wir wollen einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der nicht fett ist, sondern fit. Der in seinen Kernaufgaben schlagfertig ist und sich stärker auf ausgewogene politische Bildung fokussiert. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gibt zu viel Geld für Doppelstrukturen und Unterhaltungsbespaßung – von „Rosamunde Pilcher“ bis hin zum „Traumschiff“ – aus. Das sehen wir nicht als dessen Aufgabe.

Frage: Welches Thema wollen Sie zu Ihrem Markenzeichen machen?

Jens Teutrine: Ich möchte, dass wir uns von falschen Vorurteilen befreien, öfter unsere ganz persönlichen Geschichten für unsere Überzeugungen erzählen und die eigene politische Komfortzone häufiger verlassen. Inhaltlich geht es mir darum, eine marktwirtschaftliche Reformpolitik mit sozialpolitischen Anliegen zu verknüpfen.

Unser Sozialstaat braucht ein Update. Er sollte den Einzelnen entfesseln, anstatt ihn zu lähmen. Dazu müssen wir bürokratische Zugangsbarrieren abbauen und Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessern. Und um das umzusetzen, muss die FDP natürlich Teil der nächsten Bundesregierung sein.