SCHRÖDER-Interview mit Business Insider: „Die Bundesregierung lässt junge Menschen im Stich“

Im Interview mit Business Insider erklärt unsere Bundesvorsitzende Ria, warum sich die Politik Bundesregierung vor allem in der Corona-Krise mehr um junge Menschen kümmern sollte. Du findest es im Original hier.

Die Fragen stellte Joana Lehner.

Frage: Derzeit wird über das Wahlrecht ab 16 Jahren diskutiert, das Sie befürworten. Auf welchem Wege sollte man junge Menschen noch an politischen Entscheidungen beteiligen?

Ria Schröder: Wir wollen mehr junge Menschen als Abgeordnete in die Parlamente bringen. Deswegen unterstützen wir junge Kandidatinnen und Kandidaten, besonders für die Bundestagswahl im nächsten Jahr. Für Gesetzesvorhaben wäre außerdem ein beratendes Gremium mit vielen jungen Menschen spannend. So wüsste die Regierung besser, welche Auswirkungen politische Entscheidungen auf die nächste Generation haben. Junge Menschen wären nicht nur mitgemeint, sondern kommen tatsächlich vor.

Frage: Im Bundestag ist das noch keine Realität: Nur 21 der 709 Abgeordneten sind zwischen 21 und 29 Jahren alt. 

Ria Schröder: Nicht nur das. Leider merkt man in Deutschland noch zu häufig, dass sich die politischen Entscheidungen der Bundesregierung danach richten, wo die großen Wählergruppen sitzen.

Frage: Auf welche Entscheidungen spielen Sie an?

Ria Schröder: In der Corona-Zeit haben junge Menschen ihre Nebenjobs verloren oder wussten nicht, wie es mit ihrer Ausbildung weitergeht. Es gab halbherzige Soforthilfen der Bildungsministerin, aber fast die Hälfte der Anträge wurde abgelehnt. Weil zwar eine Notlage bestand, aber angeblich nicht wegen Corona. Da wird einfach weggeschaut. In der gleichen Zeit wurden eine Erhöhung des Rentenniveaus und die Grundrente beschlossen. Einfach nur, weil das die größte Wählerschaft interessiert und nächstes Jahr Bundestagswahl ist. Die Bundesregierung lässt junge Menschen im Stich. Das ist respektlos.

Frage: Umgekehrt lassen auch viele junge Menschen Solidarität mit der Gesellschaft vermissen, etwa indem sie illegal feiern und somit riskieren, dass die Corona-Infektionen ansteigen.

Ria Schröder: Sowas geht überhaupt nicht. Aber man darf nicht alle jungen Menschen über einen Kamm scheren. Die meisten handeln sehr verantwortungsbewusst. Der ehemalige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, meinte in einem Gespräch mit mir: ,Die jungen Leute sollen sich mal alle nicht so anstellen.‘ Ich finde, das ist der falsche Ansatz. Ich kann die Enttäuschung und Frustration wegen ausgefallener Abibälle, abgesagter Praktika und verlorener Zukunftschancen verstehen. Aber bei solchen Aussagen setzt sich die Respektlosigkeit gegenüber jungen Menschen fort. Sie können schnell das Gefühl bekommen, dass sich keiner für sie interessiert. Und die Antwort von manchen ist dann leider: Dann interessiert es mich jetzt auch nicht mehr, was ihr mir zu sagen habt.

Frage: Warum entsteht der Eindruck, dass sich die Regierung so wenig um junge Menschen schert — abgesehen davon, dass sie nicht die größte Wählergruppe sind?

Ria Schröder: Ich glaube es liegt an dem Bild, was sich die Politik von jungen Menschen macht. Dort heißt es teilweise: Die armen, alten Rentner versus die jungen, starken Leute. Junge Menschen bekommen es auch alleine hin, ihnen muss die Politik nicht helfen. Mir gefällt schon dieses Gegeneinander nicht. Und durch die Corona-Pandemie sind viele unverschuldet in Not geraten. Natürlich haben sie im besten Fall auch Familie und Freunde, die sie unterstützen. Aber wenn nicht, stehen sie alleine da.

Frage: Was könnte dagegen helfen?

Ria Schröder: Elternunabhängiges Bafög, damit auch diejenigen einen Anspruch erhalten, deren Eltern nicht erreichbar sind oder nur knapp über der Einkommensgrenze liegen. Außerdem eine Berufsausbildungshilfe, die vorübergehend so hoch ist wie der Bafög-Höchstsatz und mehr Beratungsstellen an Unis oder Berufsschulen.

Frage: Zu Beginn Ihrer Amtszeit wollten Sie mehr junge Frauen zu den Julis holen. Hat das denn geklappt?

Ria Schröder: Ich hatte die Hoffnung, dass uns die Frauen in Scharen zulaufen, wenn endlich mal wieder eine Frau Vorsitzende bei den Julis wird. (lacht) Aber so einfach ist es nicht. Die meisten Menschen kennen Christian Lindner und machen davon abhängig, ob sie Mitglied bei der FDP oder bei den Julis werden wollen. Wir wollen es schaffen, noch mehr Frauen anzusprechen, etwa mit spannenden Angeboten wie unserem Female Future Forum. Aber wir achten auch verstärkt auf unsere Sprache.

Frage: Die Julis gendern also, um weibliche Mitglieder zu gewinnen?

Ria Schröder: Es gibt keine offizielle Linie, aber das wird bei uns diskutiert. Manchmal, wenn die Sätze zu lang werden, spreche ich auch mal nur von „Lehrern“, aber sonst in der Regel von Lehrerinnen und Lehrern. Ich probiere darauf zu achten, aber schreibe es niemandem vor. Ich finde, Bevormundung ist nicht das richtige Mittel, um Geschlechtergerechtigkeit zu schaffen und gesellschaftliche Entwicklungen voranzubringen.

Frage: Damit nehmen Sie auch in Kauf, dass es noch lange dauern könnte, ehe die Gerechtigkeit eintritt.

Ria Schröder: Geschlechtergerechtigkeit entsteht nicht durch mein individuelles Sprachverhalten. Für mich ist die entscheidendere Frage, wie nachhaltig eine Entwicklung ist. Wir sehen es gerade in Polen. Das Land war schon viel weiter mit Frauenrechten. Es hatte die Istanbul-Konvention, jetzt soll sie wieder abgeschafft werden — ein Backlash. Das kann leider passieren, wenn man versucht, einer Gesellschaft etwas aufzudrücken, aber sie noch nicht so weit ist. Ich wünsche mir natürlich auch, dass es schneller geht. Aber es hilft nicht, einfach Gesetze zu erlassen und darauf zu hoffen, dass sich Menschen deshalb verändern. Besser ist es, Menschen davon zu überzeugen, weshalb Geschlechtergerechtigkeit wichtig ist.

Frage: Die FDP setzt ja nicht nur in dieser Frage auf eigene, individuelle Freiheit, sondern auch gegenüber dem Staat. Doch zeigt die Corona-Krise nicht, dass der Staat die einzige Instanz ist, auf die wir uns überhaupt noch verlassen können?

Ria Schröder: Dass wir Corona so gut in Deutschland überstanden haben, ist sicherlich auch dem staatlichen Krisenmanagement zu verdanken.

Frage: Aber?

Ria Schröder: Ich glaube, dass manche sich danach sehen, dass ihnen jemand die Verantwortung abnimmt, statt sie selbst zu übernehmen. Bei Twitter habe ich mal gelesen: ‚Vernünftige Leute brauchen keine Maskenpflicht, sie tragen Maskenverantwortung.‘ Ich trage auch in Situationen Maske, in denen ich es nicht müsste, weil ich nicht will, dass sich die Pandemie weiter ausbreitet. Diesen Unterschied macht Eigenverantwortung. Daran sollte man aber in allen Lebenssituationen appellieren, dass Menschen selbst auf sich und andere achten und ganz generell ihr Leben selbstbestimmt führen. Wenn es nicht klappt, reicht der Sozialstaat ihnen die Hand. Sie können ein Risiko eingehen und werden aufgefangen. Aber diese Eigenverantwortung kommt mir häufig zu kurz.

Frage: Warum sind die Deutschen so?

Ria Schröder: Wir haben in Deutschland auch eine Mentalität, bei der Unternehmertum immer noch auf dem Prüfstand steht. Wenn man ein Start-up gründet oder sich selbstständig macht, dann wird man dafür kritisch beäugt. Selbst, wenn es nicht klappt, sollten wir Leuten das Gefühl geben, dass sie etwas probieren dürfen. Anstatt ihnen zu raten, kein Risiko einzugehen oder lieber im Angestelltenverhältnis zu bleiben.

Frage: Nicht alle deiner Generation können mit dem Ideal des Unternehmers etwas anfangen. Im Interview mit Business Insider sagte Anna Peters, Chefin der Grünen Jugend, sie würde gern den Kapitalismus abschaffen. Eine gute Idee?

Ria Schröder: Die Ausprägung des Kapitalismus, die wir in Deutschland haben, nämlich die soziale Marktwirtschaft, ist das fairste Wirtschaftssystem, das es gibt. Es hat Wohlstand für die breite Bevölkerung gebracht. Jeder hat die Chance, durch eigene Leistung voranzukommen und das eigene Leben selbstbestimmt zu führen. Deine soziale Herkunft oder deine Klasse bestimmen nicht darüber, ob du einen Job bekommen kannst oder ob du reich bist, aber durch Arbeit kannst du dort hinkommen.

Frage: In der Theorie. Aber in der Praxis?

Ria Schröder: Wir haben Nachholbedarf. Soziale Herkunft oder Wohlstand machen natürlich noch einen Unterschied. Gleichzeitig müssen wir viel mehr in Bildung investieren, gerade in den Stadtteilen, wo es viele Menschen gibt, deren Muttersprache nicht Deutsch ist oder wo viele Hartz-IV-Empfänger leben. Dort müssten eigentlich die allerbesten Schulen sein, damit Zukunftschancen nicht vom Elternhaus abhängen. Daran müssen wir dringend arbeiten, aber nicht, indem wir die soziale Marktwirtschaft aufgeben. Ich kenne kein politisches oder wirtschaftliches System, das fairer und besser ist. Das soll mir erstmal jemand zeigen.