Alena und Timo in der WELT: Wie das Organspenden wirklich leichter gemacht werden kann

In der vergangenen Woche hat der Bundestag über die Neuregelung der Organspende entschieden. Die Debatte um Widerspruchs- oder Zustimmungslösung geht aber am eigentlich Problem vorbei, schreiben unsere Bundesvorstandsmitglieder, Alena TRAUSCHEL und Timo BERGEMANN, in ihrem Gastbeitrag für die WELT. Du findest den Gastbeitrag auch hier.

Im Bundestag und in der deutschen Öffentlichkeit wurde zuletzt intensiv über die Frage diskutiert, ob Verstorbene automatisch Organspender sein sollen, wenn sie dem nicht ausdrücklich widersprochen haben. Die Debatte geht dabei aber an vielen Problemen vorbei.

In Deutschland warten derzeit knapp 9500 Menschen auf ein oder mehrere neue Organe, gleichzeitig spenden pro Jahr weniger als 1000 Menschen. Im Durchschnitt können drei Organe pro Spender transplantiert werden. Somit endet das jahrelange Warten Tausender Menschen auf ein Spenderorgan jedes Jahr mit dem Tod. Eine Tragödie, die durch mehr Spenderorgane vermieden werden könnte.

Es liegt nahe, hier den Blick auf all jene zu richten, die zwar zur Spende bereit wären, aber keinen Organspendeausweis ausgefüllt haben, um sich beispielsweise nicht mit der eigenen Vergänglichkeit auseinandersetzen zu müssen. Es gibt Länder mit der Widerspruchslösung, in denen mehr erfolgreiche Transplantationen durchgeführt werden.

Länder wie Island oder die USA erreichen mit der Zustimmungslösung mehr erfolgreiche Organspenden als Deutschland. Demgegenüber stehen aber auch Länder wie Polen oder Zypern, in denen trotz einer Widerspruchslösung weniger Organspenden verzeichnet werden. Das zeigt: Eine Patentlösung für mehr erfolgreiche und lebensrettende Organspenden gibt es nicht.

Während sich in den letzten Jahren der Anteil der Menschen mit Organspendeausweis in Deutschland auf 36 Prozent mehr als verdoppelt hat und es in den Krankenhäusern mehr mögliche Spender gab, gingen die tatsächlich realisierten Spenden gleichzeitig um ein Drittel zurück. Wie passt das zusammen?

Die Krankenhäuser sind flächendeckend mit zu wenig Personal ausgestattet, insbesondere im Bereich der Intensivpflege fehlt es an Fachpersonal. Zudem setzen Organentnahmen umfangreiche Dokumentationspflichten voraus und binden so das dringend benötigte Personal weit über den Transplantationsvorgang hinaus. Ohne den Fachkräftemangel mit Nachdruck anzugehen, wird sich hier keine Besserung einstellen können. Dazu gehören auch ein transparentes Einwanderungsgesetz und Visa für arbeitssuchendes Fachpersonal.

Organentnahmen sind für die Krankenhäuser in der Vergangenheit ein Verlustgeschäft gewesen. Mit knappen Mitteln müssen hier Abwägungen getroffen werden, die über Leben und Tod entscheiden. Wer zu viele Verlustgeschäfte eingeht, kann anderen Patienten nicht mehr helfen. Deshalb sind die deutlich verbesserten Vergütungsregeln und die Stärkung der Transplantationsbeauftragten Schritte in die richtige Richtung. Ob diese Situation durch die Änderungen im Transplantationsgesetz im letzten Jahr verbessert werden kann, bleibt abzuwarten.

Gleichzeitig fehlt es in Deutschland an innovativen Lösungen: Sowohl die Stammzellforschung als auch Transplantate, die für den Menschen in gentechnisch veränderten Tieren gezüchtet werden, sind vielversprechende Möglichkeiten, um Lösungsansätze für Patienten zu finden. Hierfür muss Deutschland als Innovationsstandort wieder attraktiver werden, damit wir diese Innovationen mitgestalten können, statt nur auf Entwicklungen aus dem Ausland zu reagieren. Es darf keine pauschalen Forschungsverbote geben und braucht eine offene Debatte über die Möglichkeiten innovativer Technologien.
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Auch die vom Bundestag beschlossene Stärkung der Zustimmungslösung reicht nicht aus. Statt bloß auf die Eintragungsmöglichkeit in ein Onlineregister hinzuweisen, könnte die Eintragung verpflichtend gemacht werden unter voller Wahrung aller Entscheidungsmöglichkeiten, einschließlich: „Ich möchte mich zu diesem Zeitpunkt nicht entscheiden“. Damit erhalten wir das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, und zeitgleich setzen sich alle Menschen mit der Organspende auseinander.

In dieser Debatte sollten die Patienten im Mittelpunkt stehen. Hier helfen keine moralischen Zeigefinger, sondern pragmatische, evidenzbasierte Lösungen.