SCHRÖDER-Interview mit bento: „Gerecht ist nicht, wenn alle gleich viel haben“

Unsere Bundesvorsitzende Ria SCHRÖDER, führte mit dem Magazin bento ein Interview über Radikalität, die Fridays-for-Future-Aktivisten und die Kollektivierungsvorschläge von Kevin Kühnert. Du findest es im Original hier.

Die Fragen stellte Yannis von Eisenhart Rothe.

Frage: Ria, wo bist du radikal?

Ria Schröder: Wenn es darum geht, neugierig auf die Zukunft zu sein. Wenn ich mich frage, wie die Welt morgen aussehen könnte, wo Innovationen hinführen könnten, kennt meine Vorstellungskraft wenig Grenzen. Grundsätzlich tue ich mich aber schwer mit dem Begriff „radikal“, gerade im politischen Kontext.

Frage: Warum?

Ria Schröder: Radikalität bedeutet häufig, dass man den Boden der Demokratie verlässt und nicht mehr zum Dialog bereit ist. Momentan wird der Begriff auch häufig in dem Kontext benutzt, dass man radikale Maßnahmen brauche, etwa im Klimaschutz. Ich verstehe die Ungeduld, die gerade viele junge Menschen haben. Wenn mit radikal gemeint ist, dass wir etwas jetzt groß oder ganz anders denken müssen, dann gehe ich da mit. Dabei muss man sich aber immer innerhalb des demokratischen Dialogs bewegen und sich demokratischer Mittel bedienen. Nur so werden wir andere Menschen mitnehmen und überzeugen.

Frage: Im Duden steht bei dem Begriff radikal unter anderem die Definition: „Gegen die bestehende Ordnung ankämpfend“. Tust du das?

Ria Schröder: Da muss man differenzieren. Es gibt weltweit Ungerechtigkeit, auch in Deutschland. Auch hier gibt es immer noch viele Menschen, die nicht die gleichen Chancen haben wie andere. Daran müssen wir arbeiten. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass das Elternhaus darüber entscheidet, welche Chancen jemand im Leben hat. Wenn deine Eltern kein Deutsch sprechen oder weniger Geld verdienen, hast du schlechtere Startchancen. Das finde ich extrem ungerecht. Aber wir brauchen kein anderes System, sondern müssen im bestehenden System die Aufstiegschancen gewährleisten, vor allem durch Bildung. Das klingt für eine junge Politikerin für einige sicher zu angepasst, aber: Es geht uns schon sehr gut in Deutschland.Und ich bin auch grundsätzlich erstmal ein optimistischer Mensch. Ich bin davon überzeugt, dass wir Dinge noch besser machen können, und dass die Voraussetzungen in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat, dafür am besten sind.

Frage: Gegen die Demokratie kämpfen nur die wenigsten, schon eher gegen die bestehende kapitalistische Ordnung. Kevin Kühnert hat zum Beispiel die Kollektivierung von BMW ins Gespräch gebracht, also dass der Konzern den Mitarbeitenden gehören sollte. Warum ist es gerecht, wenn Konzernerben Milliarden verdienen?

Ria Schröder: BMW ist eine Aktiengesellschaft. Jeder kann einen Anteil am Konzern haben und von einer positiven Entwicklung profitieren. Dennoch sind viele in Deutschland unheimlich skeptisch, wenn man etwa über eine stärkere private Altersvorsorge durch Aktien spricht. Gerecht ist nicht, wenn alle gleich viel haben, sondern wenn jeder die Chance erhält, sich ein Vermögen zu erarbeiten.

Frage: Du hast mal gesagt, dass du nach einem Jahr in Australien in die Politik wolltest, weil dort alles verboten war, was Spaß macht. Wo sollte ein Staat der Freiheit Grenzen setzen?

Ria Schröder: Die Freiheit des Einzelnen geht immer so weit, bis er jemand anderem schadet. Und dafür braucht es den Staat und das Strafrecht. Aber einen konkreten Freiheitsbegriff will ich niemandem vorschreiben. Für manche ist es Freiheit, mit 180 Kilometern pro Stunde auf der Autobahn zu fahren. Für mich nicht, aber ich sage niemandem, sein Freiheitsbegriff ist weniger wert als meiner. Wir brauchen in der Gesellschaft die Möglichkeit, verschiedene Freiheitsbegriffe nebeneinander und miteinander zu leben.

Frage: Aber wenn jemand mit einem dicken Auto durch die Stadt fährt, schränkt er damit nicht auch die Freiheit von anderen Menschen ein? Er verschmutzt die Umwelt und nimmt viel Platz weg.

Ria Schröder: Deswegen setzen wir auf das Verursacherprinzip: Wer Umweltschäden verursacht, der soll auch ihre Kosten tragen. Viele Menschen überlegen sich, wenn sie zur Arbeit oder in die Uni fahren: Was ist die günstigste, komfortabelste und schnellste Art, wie ich dorthin komme? Daher müssen wir Maßnahmen treffen, die diese Entscheidung zugunsten der umweltfreundlichsten Lösung beeinflusst. Aber nicht durch Verbote, sondern indem man den öffentlichen Nahverkehr zuverlässiger und komfortabler macht oder Fahrradwege ausbaut.

Frage: Du hast auf Twitter von Klimaschützern verbale Abrüstung gefordert. Gleichzeitig hast du vor einiger Zeit Aktivistinnen und Aktivisten von Ende Gelände als „Verbrecher“ bezeichnet. Wie passt das zusammen?

Ria Schröder: Ich habe nicht pauschal alle als Verbrecher bezeichnet. Nur die, die mit gewaltsamen Mitteln Polizeiketten durchbrochen haben oder auf Bagger geklettert sind. Glauben die wirklich, dass sie damit irgendjemanden überzeugen? Das Ziel für effektiven Klimaschutz teile ich, in der Wahl der Mittel schlagen sie aber total über die Stränge. Damit überzeugen sie niemanden von der Sache, sondern erreichen das Gegenteil. Viele Menschen sind bereit, ihren Anteil zu leisten und ihren Konsum zu überdenken. Aber sie haben kein Verständnis dafür, wenn zum Beispiel die IAA oder wichtige Straßenzüge wie kürzlich in Berlin blockiert werden. Dieser Kampf gegen das Auto führt nicht dazu, dass die Leute plötzlich das Auto stehen lassen. Sondern dass sie sagen: Macht euren Klima-Blödsinn doch alleine.

Frage: Hilft solcher Aktivismus nicht dabei, Aufmerksamkeit für ein Thema zu schaffen?

Ria Schröder: „Fridays for Future“ schaffen das mit friedlichen Demonstrationen, ohne Gesetzesübertretungen. Ich kann verstehen, dass man gerade als junger Mensch denkt, dass alles schneller gehen muss. Mir geht es genauso. Aber in einer Demokratie dauern Entscheidungsprozesse länger als in einer Diktatur. Ich finde auch, dass die Bundesregierung beim Klimaschutz viel zu langsam ist. Aber daran ändert man nichts, indem man Straftaten begeht, sondern indem man sich politisch engagiert und in die Parteien geht. „Fridays for Future“ zeigt eindringlich, dass Klimaschutz für junge Menschen eine andere Dringlichkeit hat als für Menschen, die in 50 Jahren nicht die Konsequenz ihrer heutigen Tatenlosigkeit ertragen müssen. Deswegen müssen junge Leute in die Politik und an den Entscheidungen beteiligt sein.

Frage: Gibt es für dich einen Punkt, an dem ziviler Ungehorsam angebracht ist?

Ria Schröder: Ja. Ich habe vor kurzem mit Aktivisten aus Hongkong demonstriert. Dort werden im Moment Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit extrem eingeschränkt. Menschen werden von der Polizei mit Gummigeschossen attackiert, grundlos inhaftiert, Panzer fahren an der Grenze auf. In so einer Situation ist ziviler Ungehorsam das einzige Mittel, mit dem man noch für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eintreten kann. Im deutschen Rechtsstaat kann man dagegen mit demokratischen Mitteln für seine Sache kämpfen.

Frage: Hast du schon mal gegen irgendwas rebelliert?

Ria Schröder: Natürlich, immerhin bin ich mit Anfang 20 in die FDP eingetreten. In gewisser Weise ist doch das schon ein Akt der Rebellion (lacht). Aber mal im Ernst: Ich setze mich für Klimaschutz, für das Wahlrecht ab 16 und die generationengerechte Rente ein. Damit stößt man natürlich nicht immer auf Gegenliebe, aber wenn man etwas wichtig findet, ist es genau richtig, sich dafür einzusetzen.