Offener Brief an Bundesrat: Maghreb-Staaten und Georgien als sichere Herkunftsländer

Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates,

am Freitag wird im Bundesrat darüber abgestimmt, ob Georgien, Tunesien, Marokko und Algerien als sogenannte „sichere Herkunftsländer“ eingestuft werden. Wir rufen die Mitglieder des Bundesrates, insbesondere die Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen, die der Einstufung als „sichere Herkunftsländer“ derzeit kritisch gegenüberstehen, dazu auf, Ihre bisherige Position zu überdenken und dem Vorschlag zuzustimmen.

Warum?

1. Wer dem Vorschlag zustimmt, der ist nicht „gegen Flüchtlinge“.

Fast alle Menschen, die aus Georgien, Tunesien, Marokko oder Algerien nach Deutschland kommen, müssen wieder in ihre Heimat zurückkehren. Ihre Asylanträge werden zu 97 – 99 Prozent abgelehnt. Was ihnen bleibt, sind Frustration, geplatzte Träume und Schulden, die sie für die Kosten der Reise auf sich genommen haben. Die derzeitige Rechtslage ist eine unehrliche Einladung, die mit den Hoffnungen derer spielt, die mit ihrer Lebenssituation unzufrieden sind. Bei so niedrigen Anerkennungsquoten ist es diesen Menschen gegenüber daher verantwortungsvoll und fair, das Zeichen zu setzen: Der Weg lohnt sich nicht.

Um Menschen aus aller Welt den Weg nach Deutschland zu ebnen, brauchen wir ein faires Einwanderungsrecht. Aber lasst uns den Kampf nicht auf dem Rücken derjenigen austragen, die unter großen Belastungen nach Deutschland kommen und fast automatisch zurückgeschickt werden.

2. Wer dem Vorschlag zustimmt, der verletzt nicht das Asylrecht.

Das Recht auf ein faires Asylverfahren bleibt jedem Einzelnen erhalten, auch wenn man aus einem sogenannten „Sicheren Herkunftsland“ kommt. Das ist durch das Grundgesetz und die Konkretisierung in § 29a Absatz 1 AsylG sichergestellt.

Hinzu kommt: Die Einstufung als „sichere Herkunftsstaaten“ hilft den Ausländerbehörden. Diese werden entlastet und können sich mit den kritischen Fällen intensiv auseinandersetzen. Weniger übereilte Entscheidungen stärken den Rechtsstaat und die Rechte derjenigen, die unseren Schutz wirklich benötigen.

3. Wer dem Vorschlag zustimmt, der meint nicht, dass es in diesen Ländern per se sicher ist.

Es handelt sich bei den „sicheren Herkunftsstaaten“ in erster Linie um einen rechtlichen Begriff. Denn es ist schwer zu bestimmen, wie sicher es in einem Land wirklich ist. Auch in Berlin gibt es unsichere Ecken, wer in Frankfurt am Main sein Auto im Bahnhofsviertel abstellt, wird sich dabei nicht sicher fühlen. Es gibt in den Maghreb-Staaten Probleme mit Kriminalität und Terror. Die Gebiete Südossetien und Abchasien sind nach wie vor Konfliktregionen in Georgien. Aber der Rechtsbegriff zielt vor allem darauf ab, ob in einem Land politische Verfolgung oder unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es kommt insbesondere auf die rechtlichen und politischen Verhältnisse an. Ein Indikator für diese gibt der Global Peace Index, der etwa die politische Stabilität und den Grad des Respekts für Menschenrechte misst. Der Global Peace Index 2018 stuft Marokko und Tunesien als Länder mit einem hohen Friedensstadium ein, sie rangieren auf Platz 71 bzw. 78. Im Vergleich: Griechenland erreicht Platz 79. Georgien (102) und Algerien (109) erreichen immerhin einen mittleren Wert – weit vor etwa den USA (Platz 121). Eine politische Beurteilung der Situation in den einzelnen Ländern bleibt unbenommen, sie muss aber von der rechtlichen Einstufung getrennt vorgenommen werden.

4. Wer dem Vorschlag zustimmt, der ist kein Unmensch.

Hand aufs Herz: Die Frage, wie wir Migration und Flucht politisch gestalten, entscheidet sich nicht an der Einstufung von Georgien, Marokko, Tunesien und Algerien als „sichere Herkunftsstaaten“. Es ist an Ihnen diese Frage nicht überzubewerten. Viele Menschen in Deutschland begrüßen Geflüchtete mit offenem Herzen und offenen Armen. Aber die Akzeptanz sinkt, wenn Verfahren unnötig lange dauern und die Ablehnungsquoten aus bestimmten Ländern bei 97 bis 99 Prozent liegen.

Wir brauchen an diesem Freitag Ihre Stimmen für eine pragmatische und faire Lösung, damit wir morgen wieder über die für Geflüchtete wichtigen und folgenreichen Entscheidungen für eine von Humanität und Vernunft geleitete Flüchtlingspolitik für Deutschland und Europa streiten können. Bitte stimmen sie dem Vorschlag deswegen zu.

Mit besten Grüßen
Ria Schröder

Den offenen Brief findest Du hier als PDF zum Download.