Höhle und Brandmann zur Organspende: “Wer was will, muss fragen!”

Aufgrund der aktuellen Diskussion um die Organspende veröffentlichte die „Frankfurter Rundschau“ heute folgenden Gastbeitrag unserer beiden Bundesvorstandsmitglieder, Clarisse Höhle (Stellv. Bundesvorsitzende) und Franziska Brandmann (International Officer). Er erschien zusätzlich online hier.

Der Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Organspenden in Zukunft durch eine Widerspruchslösung zu regeln, bedeutet einen unverhältnismäßigen Eingriff in die freie Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger. Mit der Mandated-Choice-Lösung gibt es jedoch eine verhältnismäßige Möglichkeit, Menschen zu einer Entscheidung über die mögliche Organspende zu bewegen. Bei dieser werden alle zu einem gewissen Zeitpunkt verbindlich aufgefordert, eine Entscheidung über eine potentielle Organspende zu treffen – ohne dabei einer Vorentscheidung von staatlicher Seite ausgesetzt zu sein.

Seit Jahrzehnten sucht die Politik nach einer Lösung für das Problem der stets niedrigen und sinkenden Anzahl der Organspender. Im vergangenen Jahr ging die Anzahl nun so stark zurück, dass sie den tiefsten Stand seit zwanzig Jahren erreichte. Ein Weckruf für jeden von uns, der nie wissen kann, ob er selbst oder einer seiner Lieben einmal in die schreckliche Situation kommen wird, auf ein Spenderorgan warten zu müssen.

Organspende: An einer Reform führt kein Weg vorbei

Minister Spahn ist entschlossen, das Thema Organspende erneut anzugehen. Das ist wichtig. An einer Reform führt angesichts der erschreckenden Zahlen kein Weg vorbei. Leider macht er es sich zu einfach. Eine Widerspruchslösung ist nicht im Sinne einer liberalen Gesellschaft.

Wir haben uns dazu entschieden, Organspender zu werden. Es wäre wünschenswert, dass mehr Menschen sich mit der höchstpersönlichen Frage, was mit ihrem Körper im Falle eines Hirntodes passieren soll, bewusst auseinandersetzen. Bei der Widerspruchslösung handelt es sich jedoch um weit mehr als nur um eine Pflicht zur Entscheidung: Hier wird durch den Staat eine Entscheidung vorgegeben, gegen die der Betroffene nur Widerspruch einlegen kann. Wer keinen Widerspruch einlegt, ist damit automatisch Organspender.

Zu hoffen, bisher desinteressierten oder misstrauischen Menschen könne mit der Einführung der Widerspruchslösung die vermeintlich bessere Entscheidung aufgedrängt werden, wird dem Thema nicht gerecht. Grundsätzlich gilt: Schweigen ist keine Zustimmung. Ausgerechnet bei einer so bedeutsamen Entscheidung darf davon keine Ausnahme gemacht werden. Das Versäumen eines Widerspruchs kann und darf niemals die bewusste Entscheidung des mündigen Bürgers ersetzen.

Grundsätzlich gilt: Schweigen ist keine Zustimmung.

Die Befürworter der Widerspruchslösung stellen diese als Ultima Ratio, als letztmögliche Maßnahme dar, um eine höhere Spendenbereitschaft zu erreichen. Wahr ist jedoch: Andere Möglichkeiten wurden vom Bundesgesundheitsministerium bislang nicht ausgeschöpft. In Bayern etwa stieg die Zahl der Organspenden, nachdem festgelegt wurde, dass Ärzte künftig für Gespräche mit möglichen Spendern und Angehörigen freigestellt werden.

Die anderen Bundesländer haben diese Änderung nicht übernommen. Es gibt bis heute noch nicht einmal eine bundesweite Organspenderdatei. Zudem scheint sich in den letzten Jahren bei der Aufklärung über Organspenden, bei der Verbesserung der Infrastruktur, Logistik und der Ausbildung des Personals sowie bei der Nutzung noch verbleibender Innovationspotentiale kaum etwas getan zu haben.

Auch die Mandated-Choice-Regelung ist vom Bundesgesundheitsministerium unbeachtet geblieben. Dabei könnte sie unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit zwischen Selbstbestimmung des Bürgers und der Notwendigkeit höhere Spenderzahlen einen Kompromiss darstellen.

die Mandated-Choice-Regelung ist vom Bundesgesundheitsministerium unbeachtet geblieben.

Die Mandated-Choice-Lösung sieht vor, dass alle Bürger bei Beantragung eines Personalausweises oder Reisepasses nach Vollendung des sechzehnten Lebensjahres dazu aufgefordert werden, sich bezüglich der Bereitschaft zur Organspende klar zu äußern. So ist jeder Bürger dazu angehalten, sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen und eine Entscheidung zu treffen.

Im Gegensatz zur Widerspruchslösung ist aber ausgeschlossen, dass jemand zum Organspender wird, der dies nicht möchte. Diese Lösung wird daher dem hohen Gut, dem Organspenden dienen, gerecht. Ziel einer aufgeklärten Gesundheitspolitik darf nicht sein, dass Bürger unbeabsichtigt zu Spendern ihrer Organe werden. Wir fragen daher Herrn Spahn: Welche Lösung könnte besser sein, als die, die neben steigenden Spenderzahlen auch noch mehr bewusste Entscheidungen zur Rettung anderer Menschenleben erzielt?

Diese Lösung wird dem hohen Gut, dem Organspenden dienen, gerecht.