Schröder in den „Westfälischen Nachrichten“: „Die Zukunftsthemen fehlen“

Die Bundesvorsitzende der Jungen Liberale (JuLis), Ria Schröder, gab den „Westfälischen Nachrichten“ folgendes Interview. Man findet es im Original hier. Die Fragen stellte Wolfgang Kleideiter.

Deutschland diskutiert darüber, ob es für junge Menschen nach der Schule einen einjährigen Pflichtdienst geben sollte. Eine Schnapsidee im politischen Sommerloch? Oder der Versuch, einer auseinanderdriftenden Gesellschaft wieder etwas mehr Kitt zu geben?

Ria Schröder: Ersteres. Abgesehen von einer kaum möglichen Umsetzung – Stichwort Grundgesetzänderung – geht von diesem Vorschlag ein völlig falsches Signal aus, wenn Ältere den Jüngeren sagen, dass diese mehr für die Gesellschaft tun müssten. Fast jeder zweite Jugendliche engagiert sich heute bereits ehrenamtlich in verschiedensten Bereichen. Die individuelle Lebensplanung, eigene Ausbildungs- und Studienziele werden völlig außer Acht gelassen, wenn die Politik einen Pflichtdienst als den einzig richtigen Weg nach der Schulzeit festschreibt.

Aber ein sozialer Dienst wäre doch nicht grundsätzlich falsch?

Schröder: Man sollte das Freiwillige Soziale Jahr und den Bundesfreiwilligendienst attraktiver machen und Ehrenamtlichkeit insgesamt mehr fördern und auch von Bürokratie entlasten. Das wäre sinnvoll. Ich frage mich, was man erreichen will, wenn man junge Menschen mit Aufgaben betraut, die sonst ausgebildete Pflegekräfte übernehmen. Ist das die Wertschätzung, mit der man den Pflegeberuf attraktiver machen will? Gleiches gilt für den Wehrdienst. Die Versäumnisse in der Bundeswehr lassen sich nicht mit dem Pflaster eines Pflichtdienstes überdecken.

Die Wähler der FDP gehören laut einer Civey-Umfrage mit 57,7 Prozent zu den Befürwortern der Dienst-Idee. Müssen die Liberalen ihre Position eventuell doch überdenken?

Schröder: Ich glaube nicht. Man sollte Politik nicht nach Stimmungen ausrichten oder nach einem gerade vorhandenen Gefühl von Unsicherheit. Man muss auf die Fakten schauen. Das erwarte ich von Politikern.

Sie kritisieren, dass die Große Koalition die jüngere Generation zu wenig im Blick hat und die Generationengerechtigkeit vernachlässigt. Woran machen Sie das konkret fest?

Schröder: An der Schwerpunktsetzung, denn Zukunftsthemen wie Digitalisierung oder Bildung werden nicht richtig angegangen. Es wird trotz des guten Investitionsklimas zu wenig getan, um die Bildung auf das Level des 21. Jahrhunderts zu bringen und dort für eine technisch längst mögliche individuelle und zielgerichtete Förderung zu sorgen. In der Klimapolitik wird auf die Veränderungen nicht im richtigen Maße reagiert. Die Große Koalition kümmert sich um sich selbst und die Themen der Wählergruppen über 60. Mit der Rentenpolitik kann man dort punkten, aber nachhaltig ist dies nicht.

Was genau bemängeln Sie am Rentenpaket, das SPD-Sozialminister Heil vor Kurzem vorgestellt hat?

Schröder: Zum einen ist das Vorgehen fragwürdig, da die gerade erst von ihm eingesetzte Rentenkommission ihre Arbeit noch nicht einmal richtig aufgenommen hat. Der Minister nimmt Ergebnisse vorweg, die kaum noch zu ändern sein werden, wenn die Kommission zu anderen Erkenntnissen kommt. Zum anderen sehe ich inhaltlich gar keine Möglichkeit, die doppelte Haltelinie bei Beitragshöhe und Rentenniveau zu halten, da die Zahl der Rentner weiter stark ansteigt. Die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Baby-Boomer, stehen sogar noch vor dem Renteneintritt. Man kann das bröckelnde System vielleicht im Moment noch stützen, aber das Erwachen wird viel schlimmer, wenn diese Gruppe ab 2025 in Rente geht. Spätestens dann wird man an allen Stellen nachjustieren müssen.

Rechnen Sie persönlich damit, später eine gesetzliche Rente zu beziehen?

Schröder: Ich wage nicht, daran zu glauben. Es sei denn, die Beiträge steigen ins Unermessliche. Man sollte heute unbedingt damit beginnen, nachhaltige Systeme zu installieren.

Sind Sie mit der Zusammensetzung der Rentenkommission zufrieden?

Schröder: Nein. Das jüngste Mitglied ist 43 Jahre alt. Wie soll ein generationengerechtes System aufgebaut werden, wenn man dort nicht einmal junge Leute zulässt? Wir haben drei Säulen, konzentrieren uns aber auf die gesetzliche Rente und vernachlässigen die Betriebsrente und die private Vorsorge. Da geht es nicht um die Wohlhabenden. Jeder sollte die Möglichkeit haben, zum Beispiel durch die Schaffung von Wohneigentum Vorsorge zu treffen. Man könnte die Grunderwerbssteuer für die erste selbst genutzte Immobilie abschaffen.

Im aktuellen Bundestag haben die Jüngeren unter 30 Seltenheitswert. Fühlen Sie sich als 26-Jährige vom Parlament repräsentiert?

Schröder: Viel zu wenig. Wir brauchen wesentlich mehr junge Menschen im Deutschen Bundestag, damit auch die Interessen der Jüngeren dort zur Sprache kommen.

Wie wollen Sie Jungwähler gewinnen? Diese interessieren sich für Politik, gehen aber selbst zu wenig wählen. Demografisch sind sie zudem im Hintertreffen.

Schröder: Indem man Themen behandelt, die zur Lebenswirklichkeit von jungen Menschen gehören. Als Julis müssen wir vermitteln, welche Rolle Politik für das Leben hat. Die FDP, die sich im Wahlkampf auf Bildung und Digitalisierung fokussiert hat, hatte 2017 übrigens ihr bestes Ergebnis unter den Jung- und Erstwählern.

Im Mai 2019 finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Wegen der Herausforderungen und der zunehmend nationalistischen Strömungen eine Wahl mit hoher Brisanz. Worauf werden die Julis aufmerksam machen?

Schröder: Darauf, dass wir eine starke pro-europäische Bewegung brauchen. Es gibt Kräfte, die die erreichte Freiheit und den Wohlstand bekämpfen wollen. Die Rechtspopulisten schließen sich zusammen. Wir müssen die liberalen Kräfte wie En Marche in Frankreich oder die spanischen Ciudadanos mit der FDP zusammenbringen, um für Werte zu streiten ohne dabei die Punkte außer Acht zu lassen, an denen die Europäische Union besser werden muss. Die Institutionen müssen zum Beispiel transparenter und demokratischer werden. Wir brauchen endlich eine gemeinsame Politik in Asyl- und Migrationsfragen. Als Julis wünschen wir uns, wirklich europäisch wählen können. Es muss transnationale Listen geben.