Befreiungsschlag Fehlanzeige: Die Rentenpolitik der Großen Koalition unter der Lupe

Vor wenigen Wochen haben die Spitzen von Union und SPD nach wochenlangem Ringen ihre Pläne für die kommenden Jahre der Großen Koalition vorgestellt. Leider haben daraufhin zunächst aber wieder einmal vor allem Personalquerelen in beiden Parteien die Nachrichten bestimmt. Nun, da diese langsam ein Ende gefunden haben, sollten wir uns wieder den Inhalten zuwenden. Denn es lohnt sich, genau hinzusehen, was die GroKo in den nächsten vier Jahren mit uns vorhat. Unser Bundesprogrammatiker Phil Hackemann hat sich genau angeschaut, was sich die Große Koalition im Bereich der Rentenpolitik vorgenommen hat.


 

Während bei vielen Politikfeldern nur schwerlich eine Einigung gefunden werden konnte und man sich somit im Koalitionsvertrag größtenteils mit Prüfaufträgen begnügen muss, waren sich die Verhandlungsführer auf beiden Seiten bei einem Thema jedoch offenbar größtenteils einer Meinung: Die Rede ist von der Rentenpolitik. Und diese bereits aus den letzten vier Jahren bekannte Einigkeit der Großkoalitionäre führte auch dieses Mal – von der Öffentlichkeit leider eher unbemerkt – zu weitreichenden, neuen Vorhaben: So will die Große Koalition neben einer Vorsorgepflicht für Selbstständige beispielsweise eine gesetzlich garantierte Grundrente für Rentenempfänger einführen, die mindestens 35 Jahre Beiträge eingezahlt, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben. Diese soll zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegen. Außerdem wird die sogenannte „Mütterrente II“ eingeführt, durch die Eltern, die mindestens drei vor 1992 geborene Kinder erzogen haben, künftig auch für das dritte Erziehungsjahr einen zusätzlichen Entgeltpunkt angerechnet bekommen, statt wie bisher nur für zwei Jahre. Letzteres war vor allem der CSU ein Herzensanliegen und soll eine Gerechtigkeitslücke schließen, da Eltern von nach 1991 geborenen Kindern bereits drei Entgeltpunkte erhalten.

Eines vorweg: Es ist durchaus verständlich, die persönliche Lebensleistung von Menschen, die Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben, auch auf eine solche Weise anzuerkennen. Denn obwohl sie in dieser Zeit meist keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und so Entgeltpunkte erwerben konnten, haben sie auf eine andere Weise einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft geleistet. Das steht außer Frage. Insbesondere folgende Punkte sind jedoch vor allem an der aktuell geplanten Mütterrente II kritisch zu sehen: Erstens trägt sie entgegen aller Versprechen nicht wirklich dazu bei, die zu erwartende Altersarmut in Deutschland zu bekämpfen. Denn da sie wohl, wie bereits die Mütterente I, weiterhin mit der Grundsicherung verrechnet werden soll, kommt sie ausgerechnet den ärmsten Rentenempfängern nicht zu Gute. Denn nur, wer (inklusive der Mütterrente) höhere Rentenansprüche als das Grundsicherungsniveau hat, erhält am Ende tatsächlich auch mehr Geld. Statt bedarfsorientiert auf die individuelle Armutsgefährdung einzelner Mütter und Väter abzustellen, wird lediglich das relativ willkürlich gewählte Kriterium von mindestens drei Kindern als Voraussetzung genannt. So erhalten Rentner mit drei vor 1992 geborenen Kindern künftig knapp 30 Euro mehr im Monat, während Eltern mit nur zwei Kindern oder eben Rentenansprüchen unter dem Grundsicherungsniveau nicht von der Mütterrente II profitieren. Laut der Deutschen Rentenversicherung werden dadurch nur rund ein Viertel aller Rentner mit vor 1992 geborenen Kindern überhaupt von dieser Erhöhung erfasst.


„an der altersarmut ändert die mütterrente II nichts. statt bedarfsorientiert auf die individuelle armutsgefährdung einzelner mütter und väter abzustellen, wird lediglich das relativ willkürliche kriterium von mindestens drei kindern als voraussetzung genannt.“

Phil über die Mütterrente II im Koalitionsvertrag


Zweitens führt die Mütterrente II zu einer erheblichen finanziellen Belastung und somit zu einem noch stärkeren Ungleichgewicht zwischen den Generationen: Sollten Eltern künftig für jedes ihrer (mindestens drei) Kinder einen Entgeltpunkt mehr erhalten, würde das pro Jahr rund 3,7 Milliarden Euro mehr kosten. Kosten, die jetzige und künftige Beitragszahler schultern müssten, ohne jedoch selbst Rentenzahlungen in ähnlicher Höhe erwarten zu können. Sogar der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Sozialbeirat kritisieren, dass diese Rentenerhöhungen größtenteils aus den (noch vollen) Rentenkassen bezahlt werden sollen. Denn dies geht zwangsläufig zulasten der künftigen Rentenbezieher. Zwar fordern sie stattdessen eine Steuerfinanzierung, doch auch diese würde letztlich die derzeit jüngeren Erwerbstätigen belasten. Ohnehin ist es kritisch zu betrachten, wenn das Rentensystem weiter durch steuerfinanzierte Subventionen aufgebläht wird.

Spannend ist auch ein weiteres Rentenvorhaben der GroKo: Ihr zufolge soll nämlich als eines der zentralen Projekte der kommenden Legislaturperiode die gesetzliche Rente auf mindestens 48 Prozent des heutigen Niveaus bis zum Jahr 2025 abgesichert werden. Doch was heißt das überhaupt genau?

Dafür müssen wir uns einmal kurz mit der Funktionsweise des deutschen Rentensystems vertraut machen: Dieses basiert auf dem Umlageverfahren, das heißt, die aktuellen Rentenbezieher werden immer jeweils von den aktuellen Rentenbeitragszahlern direkt finanziert. Das ist der zentrale Bestandteil des sogenannten „Generationenvertrags“: Heute bezahlt man die Renten der „Alten“, um dann später ebenfalls von diesem System zu profitieren. Das Gegenteil dazu wäre ein kapitalgedecktes Rentensystem, in welchem man über die Zeit seiner Erwerbstätigkeit hinweg jeweils einen Teil seines Einkommens im Prinzip nur für sich selbst zurücklegt und später im Alter zuzüglich der angesammelten Zinsen wieder ausbezahlt bekommt. Die Rentenniveau, bzw. die Höhe des Rentenwerts orientiert sich an der sogenannten Rentenanpassungsformel: Diese berücksichtigt die aktuelle Lohnentwicklung, den Riester-Faktor (also, wieviel privat in der zweiten Schicht vorgesorgt wird) und das Verhältnis von Rentenbeziehern und Beitragszahlern.

Gerade durch den letztgenannten, sogenannten „Nachhaltigkeitsfaktor“, soll verhindert werden, dass zwischen Rentnern und Beitragszahlern ein Ungleichgewicht entsteht. Dies ist auch unbedingt notwendig, denn der demografische Wandel bringt unser Rentensystem bereits jetzt ins Wanken: Während noch im Jahr 1962 auf jeden Rentner sechs Beitragszahler kamen, waren es 2015 nur noch zwei. Und schaut man sich die umgedrehte Alterspyramide an, dann geht der Trend immer schneller in diese Richtung: Denn ab 2020 beginnt die Babyboomer-Generation in Rente zu gehen, auf welche nur recht schwache Geburtenjahrgänge folgen. Bereits jetzt steht das Rentensystem also vor riesigen Herausforderungen.

Ausgerechnet in dieser kritischen Situation hat die Große Koalition nun beschlossen, dieses nachhaltige System weiter aufzuweichen. Denn im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD vereinbart, das Rentenniveau eben nicht mehr in erster Linie an die sozioökonomische Situation zu koppeln, sondern stattdessen engere gesetzlich garantierte Untergrenzen bestimmen zu wollen. Ziel ist die langfristige Absicherung der Renten – dies erfolgt jedoch zulasten der jüngeren Generation.


„die festlegung einer untergrenze des rentenniveaus erfolgt zulasten der jüngeren generation(en).“

Phil über die rentenpolitischen Vorhaben der Bundesregierung


Nun behauptet die Bundesregierung, das sei nicht tragisch, schließlich wurde gleichzeitig beschlossen, dass der Beitragssatz (ebenfalls gesetzlich garantiert) nicht über 20 Prozent steigen darf. Doch jeder Wähler mit Verstand weiß: Das Geld fällt natürlich nicht vom Himmel. Sollte es wider Erwarten doch zu einer Situation kommen, in der dieser Rahmen nicht ausreicht, um die steigenden Renten zu finanzieren, wird am Ende wieder der Steuerzahler, also die Bürger, zur Kasse gebeten. Das ist ein schwer kalkulierbares Risiko, welches letztlich erneut die junge Generation und deren Altersversorgung in Gefahr bringt. Insgesamt summieren sich die neuen Rentengeschenke der Großen Koalition auf ungefähr 130 bis 170 Milliarden Euro bis 2030. Vergleicht man das mit den neu geplanten Investitionen in echte Zukunftsthemen wie Digitalisierung (ca. 10 Mrd. €) und Bildung (ca. 6 Mrd. €), wird klar, wie die GroKo ihre Prioritäten setzt: Statt in Fortschritt wird in Rückschritt investiert.

Das wird auch dadurch deutlich, dass die Große Koalition offenbar überhaupt keinen Plan hat, wie die Rente langfristig gesichert werden soll: Denn wie die Zukunft des Rentensystems nach 2025 aussehen soll, wurde kurzerhand einfach ausgeklammert und schlichtweg einer erst noch zu gründenden Kommission überlassen. So wurden aus kurzfristiger Verhandlungs- und Wahlkampftaktik unvorhersehbare, langfristige Verbindlichkeiten eingegangen, die künftige, teilweise noch gar nicht geborene Generationen zu schultern haben werden – ohne jedoch einen Plan zu haben, wie es danach weitergehen soll. Das ist ein Paradebeispiel für verantwortungslose Politik.

Aus Sicht der Jungen Liberalen wären dagegen ganz andere Schritte in der Rentenpolitik endlich notwendig: Erstens braucht es endlich ein flexibleres Renteneintrittsalter. Jede starre Grenze, sei es 63 oder 67, 50 oder 70, wird den individuell unterschiedlichen Lebensläufen der Menschen nicht gerecht. Während die eine Person seit ihrer Jugend körperlich hart gearbeitet hat und deshalb bereits mit Anfang 60 in Rente gehen möchte, kann es andere Personen geben, die erst mit 30 ins Berufsleben eingestiegen sind und sich auch mit 70 noch fit fühlen, um weiter zu arbeiten. Wann man in Rente geht, sollte also jedem selbst überlassen bleiben, statt gesetzlich vorgeschrieben sein. Voraussetzung sollte lediglich sein, Rentenansprüche mindestens in Höhe des Grundsicherungsniveaus angesammelt zu haben. Und natürlich gilt: Wer mehr einbezahlt hat, sollte am Ende auch mehr Rente rausbekommen.

Zweitens muss, genauso wie übrigens auch die Kinderarmut, die zu erwartende Altersarmut bekämpft werden: Das erreicht die Große Koalition jedoch nicht. Hierfür sollten stattdessen bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten im Alter geschaffen werden: Wer sich neben der Rente etwas dazuverdienen möchte, sollte das nicht nur problemlos dürfen, sondern vor allem auch selbst davon profitieren. Deshalb sollte zusätzliches Einkommen nur zu 50 Prozent auf die Grundsicherung angerechnet werden. Gerade Frauen leiden außerdem besonders häufig unter Altersarmut. Damit insbesondere alleinerziehende, junge Mütter nicht später Gefahr laufen, auf Grundsicherungsniveau abzurutschen, muss die Frauenerwerbstätigkeit über 450-Euro-Jobs hinaus gefördert, sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden: So zum Beispiel durch flexiblere Arbeitszeitmodelle und einem flächendeckenden Ausbau von ganztägigen Kinderbetreuungsmöglichkeiten.

Drittens muss endlich ernsthaft darüber diskutieren, wie wir qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland für Deutschland begeistern können, um sowohl dem Fachkräftemangel, als auch dem demografischen Wandel entgegenzuwirken. Das klappt nur über gezielte Anwerbungsprogramme und vor allem durch ein einfaches und unbürokratisches Einwanderungsrecht. Um die Rente auch in Zukunft zu sichern, müssen im Gegenzug Rentengarantien oberhalb der Grundsicherung, welche langfristig in das liberale Bürgergeld integriert werden kann, künftig wegfallen. Das Rentenniveau soll sich stattdessen allein an der sozio-ökonomischen Situation im Land orientieren und frei von gesetzlichen Eingriffen sein. Zudem müssen wir das bisherige Umlagesystem schrittweise auf mehr Kapitaldeckung umstellen. Statt die Rente wie bisher fast vollständig staatlich zu organisieren, sollte eine private Vorsorgepflicht eingeführt werden, wobei die Art und Weise sowie der Anbieter der Anlage frei gewählt werden kann. Nur so wird das Rentensystem zukunftsfest.