KUHLE- und BAUM-Gastbeitrag zu Bürgerrechten für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“

Angesichts der anhaltenden Diskussion um die Verschärfung von Sicherheitsgesetzen und die weitere Einschränkung von Bürgerrechten schrieben der ehemalige Bundesminister des Inneren, Gerhart BAUM, und der JuLi-Bundesvorsitzende Konstantin KUHLE heute den nachfolgenden Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kampf-gegen-den-terror-feinde-der-freiheit-14453774.html):

Feinde der Freiheit

Ob Flüchtlingskrise, Islam oder Terrorismus – die Art und Weise, wie wichtige Debatten hierzulande geführt werden, verdeutlicht: Westliche Gesellschaften geraten immer mehr in einen Zustand der Verängstigung und Verunsicherung. Grundlegende Menschen- und Bürgerrechte werden zur Disposition gestellt. Statt diesen Prozess zu entschärfen und zu moderieren, wirken Politik und Medien mitunter als Beschleuniger.

Kürzlich aus Kreisen der Union veröffentlichte Pläne enthalten Vorschläge zur automatischen Gesichtserkennung und zur Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung. Hinzu kommen Rufe nach einem Einsatz der Bundeswehr im Innern und nach einer Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht. Parallel dazu werden Zweifel genährt, ob sich türkischstämmige deutsche Staatsbürger auf die Versammlungsfreiheit berufen können. Pauschal werden Inhaber zweier Staatsbürgerschaften zum Sicherheitsrisiko erklärt. In unserem Nachbarland Frankreich wird der Ausnahmezustand in der Verfassung verankert.

Die durch diese Maßnahmen suggerierte Sicherheit kann niemals Selbstzweck sein. Ihr Bezugspunkt ist die Freiheit in einer offenen Gesellschaft. Diese Freiheit gibt es nicht ohne ein gewisses Maß an Risiko. Auch das Grundrecht auf Privatsphäre ist Teil der Werteordnung, die es zu verteidigen gilt. Deswegen ist eine offene Gesellschaft zur Sachlichkeit verurteilt, wenn sie den Kampf gegen Bedrohungen und den Eingriff in die Freiheitsrechte des Bürgers abwägen will.

Ein großer Teil der vorgeschlagenen Maßnahmen hätte die bekannten Straftaten gar nicht verhindert. Die Täter jüngster terroristischer Anschläge, etwa in Paris und Brüssel, waren polizeilich bekannt und beobachtet. Nicht neue Befugnisse für die Sicherheitsbehörden erhöhen die Trefferquote, sondern ein verbesserter Austausch vorhandener Daten und eine bessere materielle Ausstattung der Behörden. Die CSU möchte das Asylrecht auf christliche Flüchtlinge beschränken. Die Geltung der Religionsfreiheit des Grundgesetzes für alle Menschen in Deutschland wird offen in Frage gestellt. Statt sich um die Integration Tausender Flüchtlinge zu kümmern, wird zusätzlich eine Scheindebatte über die Burka geführt.

Es ist richtig, von muslimischen Gemeinschaften hierzulande die Gleichberechtigung von Frau und Mann offen einzufordern. Wir dürfen keinen Antisemitismus dulden und müssen extremistische Bestrebungen aktiv bekämpfen. Wer sich für Gewalt entscheidet, muss mit einer konsequenten Reaktion des Rechtsstaats rechnen. Doch ein robustes Eingreifen schließt eine aktive Integrationspolitik und religiöse Toleranz gerade nicht aus. Zu dem Zeitpunkt, an dem sich Jugendliche über das Internet für den Dschihad rekrutieren lassen, helfen weder Polizei noch Gefängnis. Die Verhinderung von Gewalt beginnt mit einem wirksamen Konzept der Prävention. Jugendliche mit besonderen Persönlichkeitsprofilen oder in psychologischen Krisen bedürfen einer eingehenden Betreuung. Dazu braucht es eine besondere Sensibilisierung, etwa für Lehrkräfte. Auch muss eine Gettoisierung bestimmter Stadtteile verhindert werden. Stadtplanung und Infrastruktur können Teil des Kampfes gegen den Terror sein.

Bei der Verteidigung unserer Werte haben wir die große Mehrheit jener Muslime auf unserer Seite, die als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes von den grundgesetzlichen Freiheiten Gebrauch machen statt sie zu bekämpfen. Bei der Berliner Polizei hatten im Jahr 2015 knapp 30 Prozent der neu eingestellten Polizeianwärter einen Migrationshintergrund. Ein großer Teil davon kommt aus türkischstämmigen Familien. Gerade für sie dürfen Grundrechte keine austauschbaren Prinzipien sein, die ihnen je nach außenpolitischer Großwetterlage verliehen oder entzogen werden können. Doch statt sich die Mehrheit der Muslime zu Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus zu machen, beherrschen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus die politische Debatte. So nehmen etwa Vertreter der AfD den Begriff „völkisch“ offensiv als Beschreibung ihrer Politik in Anspruch.

Auch Muslimen ist die grundgesetzliche Religionsfreiheit zuzugestehen – es ist nicht die Aufgabe der Politik, Glaubensbezeugungen zu bewerten oder gar als richtig oder falsch zu bezeichnen. Das Grundgesetz lässt Kritik am Islam zu. Man sollte keine Angst davor haben, muslimische Diskussionen über Demokratie und Toleranz aktiv zu begleiten. Doch beschneidet man auf der einen Seite die Freiheit der Religion, so nimmt man sich auch immer selbst ein Stück der Freiheit, diese Religion zu kritisieren. Bei der Bekämpfung der Feinde der Freiheit darf nicht mehr Schaden angerichtet werden als durch diese selbst.

Die Offenheit unserer Gesellschaft und die Selbstbestimmung des Einzelnen sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind über Generationen hinweg und oft genug nach unheilvollen Katastrophen erkämpft worden. Heute stehen Teile des so genannten Bürgertums in wachsender gleichgültiger Distanz zum Grundgesetz. Doch wer grundgesetzliche Freiheiten morgen genießen möchte, der sollte sich heute den Einschränkungen des Rechts auf Privatsphäre und den Angriffen auf die Religionsfreiheit entgegenstellen.