KUHLE-Gastbeitrag zur Flüchtlingskrise für „Huffington Post“

Anlässlich der anhaltenden Diskussion um Gesetzesverschärfungen und einen restriktiveren Umgang mit Flüchtlingen nach den Ereignissen der Kölner Silvesternacht, schrieb der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen (JuLis), Konstantin KUHLE, heute den folgenden Gastbeitrag für „Huffington Post“ (http://www.huffingtonpost.de/konstantin-kuhle/fuenf-schwachstellen-fluechtlingsfrage_b_9022066.html):

 

Fünf Schwachstellen, die die Flüchtlingsfrage in Deutschland offenbart

Im Jahr 2015 sind über eine Millionen Menschen aus dem arabischen Raum und anderen Regionen nach Deutschland eingereist, um als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Viele fliehen vor Krieg und Verfolgung. Andere haben keine Chance auf ein Bleiberecht. Seit bekannt geworden ist, dass unter den Tatverdächtigen, die in der Silvesternacht Straftaten am Kölner Hauptbahnhof begangen haben, viele Asylbewerber sind, ist die Debatte überhitzt. Mit konkreten Lösungsvorschlägen dringt man kaum noch durch. Will unser Land gestärkt aus dieser Zeit hervorgehen, muss es trotzdem besonnen agieren und darf sich nicht von Angst leiten lassen. Die folgenden fünf Schwachstellen hat die Flüchtlingsfrage bisher in Deutschland und Europa offenbart. Wenn wir die Krise lösen wollen, müssen wir die Empörung ablegen und sie gewissenhaft abarbeiten:

1. Der Staat darf sich nicht in Detailfragen verzetteln

Bisher ist es weder gelungen den Zuzug und die Unterbringung von Menschen nach Deutschland zu regulieren, noch sind die Asylverfahren spürbar beschleunigt worden. Dabei diskutiert das Land seit Monaten über nichts Anderes. Doch währenddessen verzetteln sich Beamte in Detailfragen wie der Ausländermaut, dem Betreuungsgeld oder der Jagd auf Raser und Falschparker. Der Staat sollte sich auf die Lösung dringender Probleme konzentrieren. Mitarbeiter im öffentlichen Dienst sollten für die Beschleunigung von Verfahren abgeordnet werden. Noch immer haben Hunderttausende keinen Antrag auf Anerkennung als Flüchtling stellen können. Sie warten teils seit Monaten. Der Ruf nach einer schnelleren Bearbeitung von Asylanträgen ist außerdem ein willkommener Anlass, um mit der dringend notwendigen Digitalisierung der Verwaltung zu beginnen.

2. Polizei und Sicherheitsbehörden müssen personell besser ausgestattet werden

Kaum passieren Straftaten, schon fordern Politiker eine Verschärfung der Gesetze. Ob Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung oder Einsatz der Bundeswehr im Inland – die Fantasien der konservativen Sicherheitsfanatiker kennen keine Grenzen. Statt ständig an den Aufgaben der Polizei herum zu schrauben, sollte die Politik lieber für eine angemessene Ausrüstung und personelle Stärke sorgen. Polizei vor Ort bringt mehr als jede Kamera. Und es ist ein Skandal, wenn Polizisten mitunter ihre privaten Mobiltelefone benutzen müssen, weil der staatliche Polizeifunk nicht vernünftig funktioniert. Kein neues Gesetz schützt ohne eine Polizei, die in der Lage ist es durchzusetzen. Deshalb braucht es statt zusätzlicher Kameras oder neuer Überwachungsmaßnahmenvor allem mehr einsatzfähige Polizisten auf der Straße.

3. Das offene Europa, das wir kennen, steht auf dem Spiel

Solange sich die Staaten in Europa nicht einig darüber sind, welchen Grad an Offenheit die Grenzen innerhalb der EU haben sollen, kann Deutschland seine Politik nicht anderen Staaten aufzwingen. Sichere Außengrenzen sind heute die Bedingungfür offene Binnengrenzen. Sonst steht das offene Europa, das wir kennen, auf dem Spiel. Damit Europa sich nicht abschottet und aus seiner humanitären Verantwortung stiehlt, müssen legale Fluchtmöglichkeiten und ein humanitäres Visum eingeführt werden. Damit können Asylanträge schon im Ausland gestellt und die Menschen anschließend gleichmäßig auf alle EU-Staaten verteilt werden. Asylberechtigte wären nicht länger auf gefährliche Fluchtrouten angewiesen. Alle anderen würden im Ablehnungsfall gar nicht erst ins Land kommen, um später aufwendig wieder abgeschoben werden zu müssen – was in den meisten Fällen ohnehin gar nicht funktioniert.

4. Die öffentliche Debatte muss dringend versachlicht werden

Wir alle rümpfen nur allzu gern die Nase über den US-amerikanischen Vorwahlkampf und über die populistischen Ausfälle des Kandidaten Donald Trump. Doch viele Vorschläge aus der deutschen Politik sind keinen Deut besser. Kein Integrationsgesetz, keine Nationalhymne im Grundgesetz und keine Leitkultur hätte die Vorfälle am Kölner Hauptbahnhof verhindert. In der Debatte sollten wir uns deshalb ehrlich machen: Vorkommnisse wie in Köln dürfen sich nicht wiederholen – aber sie können es jederzeit. Absolute Sicherheit kann und wird es nie geben. Natürlich ist es Aufgabe der Politik daran zu arbeiten, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der sich Straftaten ereignen, sinkt. Trotzdem sollte sie den Menschen die Wahrheit über die Grenzen ihrer eigenen Möglichkeiten sagen – und nicht selbst die Angst-Rhetorik der Populisten übernehmen.

5. Integration muss vom ersten Tag an ermöglicht und gefordert werden

Für sexuelle Übergriffe, Gewalt und Diebstahl gibt es weder eine Rechtfertigung, noch eine Entschuldigung. Aber es gibt Gründe. Die liegen – zumindest zu einem Teil – auch in unserem Umgang mit Geflüchteten. Wenn Menschen über Monate hinweg zu Dutzenden in Sammelunterkünften leben müssen, nicht arbeiten dürfen und vielfach noch immer keine Aussicht auf Sprachkurse haben, ist es nachvollziehbar, dass einige damit nicht klarkommen. Wollen wir Vorkommnisse wie in Köln verhindern, gelingt dies in erster Linie durch schnelle und nachhaltige Integration in unsere Gesellschaft. Wir sollten deshalb mehr Anstrengungen darauf verwenden, dass die zu uns kommenden Menschen schneller unsere Sprache lernen und arbeiten können. Schließlich gibt es keine besseren Integrationshelfer, als die deutschen Kollegen am Arbeitsplatz.